Dass Amazon immer wieder für Rekorde gut ist, steht schon lange außer Frage. In diesem Fall ist’s allerdings ein eher unrühmlicher, der aber sehr gut zeigt, auf welchem Rücken das System Amazon floriert.
Vor knapp einem Jahr (Februar 2020) stattete die Finanzpolizei dem Großverteilzentrum in Großebersdorf nahe Wien einen Besuch ab. Jetzt liegen die konkreten Ergebnisse auf dem Tisch – und die sind wenig erbaulich. Schwarzarbeit, falsche Identitäten, Lohn- und Sozialdumping sowie Abgabenhinterziehung wurden aufgedeckt, 130 von 133 Partnerunternehmen von Amazon haben Gesetze gebrochen. Laut dem Chef der Finanzpolizei ein glatter Rekord: „Ich kann mich an keine Kontrolle erinnern, bei der wir auf derartig viele Gesetzesübertretungen gestoßen sind. Das ist einmalig”, zeigt sich selbst der Leiter der Finanzpolizei, Wilfried Lehner, erstaunt. „Bei einem korrekten Beschäftigungsverhältnis geht sich die Kalkulation fast nicht aus“, so Lehner weiter.
Wie das Profil berichtet hielten sich von 133 gerade mal drei Partnerunternehmen an alle Vorgaben. Abgesehen davon hatten nur 13 Unternehmen direkt Verträge mit dem US-Riesen, alle anderen fungierten als Subunternehmer. Genau genommen identifizierte die Finanzpolizei 96 Subfirmen und weitere 24 Sub-Subfirmen. Diese sind für 468 Verstöße gegen das Sozialversicherungsgesetz, 144 gegen das Arbeitslosenversicherungsgesetz, 96 Fälle von Sozialleistungsbetrug, zwölf Verstöße gegen das Ausländerbeschäftigungsgesetz, drei Übertretungen nach dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz und eine Übertretung der Gewerbeordnung verantwortlich. Daraus ergeben sich Strafen in der Gesamthöhe von 770.000 Euro. Außerdem stellten die Finanzbeamten Forderungspfändungen in Höhe von 325.000 Euro und konnten etwa 88.000 Euro an nicht bezahlten Steuern und Abgaben sicherstellen. Wenig überraschend: Beim Internetriesen selbst wurden keine Überschreitungen festgestellt.
„Offenbar hat sich im Bereich der privaten Paketzustellung ein System der Umgehung arbeits- und sozialrechtlicher Bestimmungen entwickelt. So sehr die aktuelle behördliche Prüfung zu begrüßen ist, geht es nun darum, diese Machenschaften dauerhaft zu beenden. Dabei ist der Konzern Amazon genauso in die Pflicht zu nehmen wie die Subunternehmen und die staatlichen Behörden.“
Barbara Teiber, Vorsitzende der Gewerkschaft GPA
Dass es zu solchen Verfehlungen kommt, hat auch mit dem „System Amazon“ zu tun, in dem der US-Riese die Zustellung der Pakete an Subunternehmen auslagert. Das hat den Vorteil, dass sich Amazon nicht um arbeitsrechtliche Bedingungen kümmern muss und auch gleichzeitig das gesamte Risiko auf die Subunternehmer abwälzt. „Offenbar hat sich im Bereich der privaten Paketzustellung ein System der Umgehung arbeits- und sozialrechtlicher Bestimmungen entwickelt. Das System Amazon muss endlich ein Ende haben! Diese Machenschaften gehören dauerhaft beendet”, fordert deshalb die Vorsitzende der Gewerkschaft GPA Barbara Teiber.
Um die eigenen Kosten zu senken und den Profit zu steigern, verlangt Amazon immer mehr Leistung und Flexibilität von den Subunternehmen. Wobei diese Subunternehmen wiederum dasselbe Spielchen spielen. Mitarbeiter werden in die Scheinselbständigkeit gedrängt und müssen eigene Unternehmen gründen. So entstehen Subunternehmen der Subunternehmen. Das Ergebnis: die Paketboten tragen das Risiko, bekommen keine Überstunden bezahlt und müssen ihren Auftraggeber auch noch für das Fahrzeug entschädigen. Paketzusteller kommen so auf Stundenlöhne von unter vier Euro.
Ein großer Teil der Beschäftigte im Verteilerzentrum sind zudem Leasingarbeiter. Sie müssen permanent um ihren Job bangen – das verhindert auch Beschwerden gegen die schlechten Arbeitsbedingungen.
In einer schriftlichen Stellungnahme an Profil schreibt Amazon: „Wir haben hohe Anforderungen an unsere Lieferpartner und wir erwarten, dass sie sich an die geltenden Gesetze und den Verhaltenskodex für Amazon Lieferanten halten, der einen Schwerpunkt auf faire Löhne, Sozialleistungen, angemessene Arbeitszeiten und Vergütung legt.“ Amazon habe neue Maßnahmen implementiert, etwa „tägliche Ausweiskontrollen für Zusteller“ und eine „neue Technologie, die unseren Partnern hilft, Arbeitszeiten ihrer Zusteller zu erfassen“. Das Unternehmen arbeite „weiterhin eng mit der Behörde zusammen, und unterstützen sie bei ihren Ermittlungen“. Mit zwei Logistikpartnern wurde in Folge der Razzia der Vertrag gekündigt.
Wie war das doch gleich mit Risiko abwälzen?