21 Pleiten pro Werktag: Firmeninsolvenzen erreichen Vor-Corona-Niveau

Creditreform-Chef Weinhofer analysiert die Firmeninsolvenzen des ersten Halbjahres

Creditreform-Chef Weinhofer analysiert die Firmeninsolvenzen des ersten Halbjahres und rechnet mit rund 5.000 bis Ende des Jahres. © Creditreform

Der Gläubigerschutzverband Creditreform hat die endgültigen Zahlen bei den Firmeninsolvenzen für das 1. Halbjahr 2023 in Österreich analysiert. Die Firmeninsolvenzen steigen weiter um 10 % auf 2.661 Verfahren und erreichen das Vor-Pandemie-Niveau des Jahres 2019.

Die Zahl der eröffneten Verfahren steigt dabei um 9,2 % auf 1.559. Die mangels Vermögen abgewiesenen Insolvenzen erhöhen sich um 10,1 % auf 1.102. Gerhard M. Weinhofer, Geschäftsführer des bevorrechteten Gläubigerschutzverbandes Österreichischer Verband Creditreform, analysiert den aktuellen Insolvenztrend: „Der Corona-Nachholeffekt wirkt nur mehr bedingt. Hinzukommen aber die Herausforderungen Fachkräftemangel, Teuerung, schwacher Binnenkonsum und das Kränkeln von Österreichs wichtigstem Handelspartner Deutschland.“

Laut einer Creditreform Umfrage vom Frühjahr unter 1.400 österreichischen Unternehmen berichten 39 % der heimischen Unternehmen von sinkenden Erträgen. Auch die Auftragslage der kommenden Monate ist negativ, die Umsätze stagnieren. Die Insolvenzpassiva belaufen sich auf rund 1,1 Mrd. Euro. 10.000 Arbeitsplätze und über 29.000 Gläubiger sind betroffen. Geprägt war das 1. Halbjahr von einigen bekannten Firmeninsolvenzen wie kika/Leiner, Forstinger und Tally Weijl.

Der Corona-Nachholeffekt wirkt nur mehr bedingt. Hinzukommen aber die Herausforderungen Fachkräftemangel, Teuerung, schwacher Binnenkonsum und das Kränkeln von Österreichs wichtigstem Handelspartner Deutschland.

Gerhard M. Weinhofer, Geschäftsführer Creditreform

Firmeninsolvenzen im Bundesländer- & Branchenvergleich

Den stärksten Zuwachs verzeichnen Kärnten (+50,4 %), die Steiermark (+12,5 %) und Salzburg (+11,5 %). Die höchste Insolvenzbetroffenheit herrscht in der Bundeshauptstadt mit 11 Insolvenzen pro 1.000 Unternehmen, die geringste in Vorarlberg mit 3 von 1.000 Unternehmen. Österreichweit müssen rund 7 von 1.000 Unternehmen einen Insolvenzantrag stellen.

Am stärksten steigen die Firmeninsolvenzen zudem im Beherbergungs- und Gaststättenwesen, i.e. Tourismus (+24,5 %) und in der Sachgütererzeugung (+20,2 %). Trotz des großen Zuwachses in Prozent ist die Industrie nach wie vor relativ betrachtet krisenresistenter als die anderen Branchen. Die Industrie kämpft aber mit sinkenden Aufträgen, hohen Löhnen und Energiekosten sowie einem Fachkräftemangel. Der Tourismus scheint heuer die Pandemie endgültig überwunden zu haben, die Ausfälle während der letzten Jahre wirken aber im Ergebnis nach und führen zu zahlreichen Aufgaben.

Handel leidet unter „neuer Sparsamkeit“

Die meisten Firmeninsolvenzen werden außerdem im Handel (455), im Bauwesen (451) und in den Unternehmensbezogenen Dienstleistungen (418) angemeldet. Der Handel leidet durch die inflationsbedingte neue Sparsamkeit, der Bau durch die Verschärfungen bei der Immobilienkreditvergabe. Die größte relative Insolvenzbetroffenheit herrscht im Bau mit fast 19 von 1.000 Branchenunternehmen und ist damit 2,5-mal so hoch wie der österreichweite Durchschnitt. Insolvenz-Rückgänge verzeichnen hingegen die Branche Verkehr- und Nachrichtenübermittlung, i.e. Transport (-10,7 %) und das Kredit- und Versicherungswesen (-6,7 %).

Unsichere Zeiten erfordern mehr Risikomanagement

Die Folgen der Pandemie und des Ukraine-Kriegs sowie der Lieferkettenproblematik sind halbwegs gemeistert. Daher steigen die Insolvenzen „nur“ mehr um knapp 10 % anstatt um 60 % wie im vergangenen Jahr. Die so genannten Nachholeffekte dieser „alten“ Krisen wirken nur mehr bedingt nach. Dafür schlagen Inflation und höhere Zinsen vor allem in Österreich und Deutschland zu. Schon spricht man über Österreichs wichtigsten Wirtschaftspartner wie zuletzt vor 20 Jahren wieder vom „kranken Mann in Europa“.

Das Geschäftsklima hat sich angesichts des schwierigen Konjunkturumfelds spürbar eingetrübt. On the top kommen die Kosten der grünen Transformation, die nach der Pandemie auf angespannte Staatskassen treffen, die sich zudem nicht mehr zum Nulltarif refinanzieren können. Die EU-Politik zu ESG, Lieferkettensorgfaltspflichten etc. macht es den Unternehmen auch nicht einfacher. Der Binnenkonsum ist geprägt von Sparsamkeit und Zurückhaltung trotz stabilem Arbeitsmarkt.

Für das Gesamtjahr 2023 rechnet Weinhofer übrigens mit rund 5.500 Firmeninsolvenzen.

Das neue Normal für Unternehmen ist die laufende, nie enden wollende Bewältigung neuer, vielschichtiger Krisen und Herausforderungen. Dafür braucht es ein professionelles Risikomanagement und eine sorgfältige Liquiditätsplanung

Gerhard M. Weinhofer

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