Der Umbau und Ausbau des österreichischen Stromsystems muss auch nach den Nationalratswahlen in den kommenden Jahren zügig weitergehen, fordert das Forum Versorgungssicherheit beim Energiepolitischen Hintergrundgespräch am 11. Juli 2024. Zugleich werden Rufe nach beschleunigten Genehmigungsverfahren, flexiblen Netztarifen und Einspeis-Begrenzungen zu Spitzenzeiten seitens der Netzbetreiber laut.
Vorweg verwies die Sprecherin des Forums Versorgungssicherheit, Brigitte Ederer, aber auf die bereits erreichten Teilziele: „Die Transformation des Energiesystems ist schon sehr weit fortgeschritten und darf nicht auf halbem Weg steckenbleiben. Wir brauchen ein klares Bekenntnis zur Energiewende, abseits aller Ideologien.“
Den Verteilernetzen kommt dabei eine zentrale Rolle beim Ausbau der Strom-Infrastruktur zu, führte Thomas Maderbacher, Vorstand im Forum Versorgungssicherheit und Geschäftsführer der Wiener Netze, aus: „Das österreichische Stromsystem zählt zu den verlässlichsten der Welt. Das soll auch so bleiben.“
Insgesamt wird der Investitionsbedarf für den Ausbau und die technische Aufrüstung der Verteilernetze österreichweit 18-20 Milliarden Euro betragen. Der Ausbau ist nötig, um das Ziel zu erreichen, das sich Österreich bis 2030 gesetzt hat: Der gesamte Strombedarf soll dann bilanziell aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden.
Voraussetzungen für den Ausbau schaffen
Die ehrgeizigen Ausbaupläne können freilich nur gelingen, wenn die Netzbetreiber die nötigen Rahmenbedingungen dafür vorfinden. Maderbacher nennt hier unter anderem die Dauer der Genehmigungsverfahren – immerhin brauchen die Stromnetze österreichweit rund 200 zusätzliche Umspannwerke, rund 40.000 Kilometer Leitungen müssen neu verlegt werden.
Für das Stromsystem der Zukunft muss vor allem auch das System der Netztarife angepasst werden. Maderbacher nennt als Beispiel einen leistungsbezogenen Netztarif: „Wer sehr hohe Leistungen abruft und damit das Netz stärker beansprucht, etwa durch das Schnell-Laden eines E-Mobils, soll entsprechend höhere Netztarife zahlen. So entsteht ein Anreiz, Spitzenbelastungen zu vermeiden, was die Effizienz der Netze erhöht.“ Auch für neue Marktakteure wie Energiegemeinschaften, die Betreiber von Energiespeichern oder die im neuen E-Wirtschaftsgesetz vorgesehenen Aggregatoren müssen neue verursachergerechte Tarifmodelle gefunden werden.
Effizientere Netze
In diesem Zusammenhang verwies Maderbacher erneut auf ein dringendes Anliegen der Netzbetreiber: Sie sollen die Möglichkeit haben, Spitzenleistungen bei Einspeisern auf bis zu 70 % der Nennleistung einer Anlage beschränken zu können: „Diese Leistungsspitzen treten nur sehr selten und nur kurzfristig auf, dann aber gleichzeitig in einer ganzen Region oder im ganzen Land. Die Erzeuger haben durch das Abregeln nur minimale Verluste von weniger als 5 % der Jahresproduktion. Wenn die Netzbetreiber aber nicht das Recht zum Abregeln erhalten, müssen sie die Netze auf diese ganz seltenen Leistungsspitze auslegen, das verteuert den Ausbau und macht die Netze weniger effizient.“
Zudem müssten neue Anträge von Einspeisern erneuerbarer Energie abgelehnt werden, was die Transformation gefährdet. Als Alternative bieten sich erzeugungsnahe Speicherkapazitäten an, welche die Nutzung der gesamten nachhaltig erzeugten Energie ermöglichen.
Höhere Effizienz entsteht auch durch einen höheren Anteil an Eigenverbrauch. Die Netze werden weniger belastet, wenn die Betreiber von kleineren PV-Anlagen ihren Strom gar nicht erst einspeisen, sondern ihn selbst verbrauchen oder speichern. „Das Beispiel zeigt, dass die Kundinnen und Kunden immer stärker zu Prosumern und Partnern der Netzbetreiber werden. Es liegt mehr und mehr an uns allen, wie gut die Energiewende gelingt.“
Wirtschaftsfaktor Energiewende
Durch die hohen Investitionen wird die Energiewende auch zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor und in vielen Bereichen auch zu einem Treiber von Innovationen. Im dezentralen Stromsystem der Zukunft kommt der Sammlung und Analyse von Daten eine steigende Bedeutung zu, sagt Maderbacher: „Die Netzbetreiber werden zu Data Companies. Wir brauchen auch hier erweiterte Möglichkeiten, um auf Daten zugreifen und sie auswerten zu können – natürlich anonymisiert und unter höchstem Datenschutz.“
Nicht zuletzt werden die Netzbetreiber zu attraktiven Arbeitgebern. Maderbacher: „Die Energiewende schafft Arbeitsplätze schneller, als wir sie besetzen können. Alle Netzbetreiber suchen Fachkräfte mit einer breiten Palette unterschiedlicher Qualifikationen. Vor allem aber bilden wir Fachkräfte auch aus, sowohl Lehrlinge und Berufseinsteiger als auch Berufsumsteiger.“
Mit dem Programm „Frauen in die Technik“ (FiT) versuchen die Wiener Netze gezielt, Frauen für technische Berufe zu interessieren und ihnen so Laufbahnen in dieser traditionell männlich dominierten Branche zu eröffnen.