WKO Gewerbe und Handwerk: „Wir hungern vor vollen Auftragstöpfen“

Gewerbe und Handwerk (ver)hungern vor vollen Töpfen.

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Die Kostenexplosion bei Rohstoffen und Energie sowie der Mangel an Material und Personal haben die Situation für das Gewerbe und Handwerk in den vergangenen Wochen dramatisch verschärft. In Sachen Preisexplosion und Materialmangel fordert WKO-Obfrau Scheichelbauer-Schuster nun ein energisches Gegensteuern.

„Wir hungern vor den vollen Töpfen: Die Aufträge wären zwar da, aber unsere Mitgliedsbetriebe können sie vielfach nicht abarbeiten“, sagte Renate Scheichelbauer-Schuster, Obfrau der Bundessparte Gewerbe und Handwerk in der Wirtschaftskammer Österreich. Die aktuelle Unternehmensbefragung von KMU Forschung Austria unterstreicht das ungewöhnliche Bild: Gleich drei der fünf topgereihten Herausforderungen für 2022 sind jetzt Folgen des „Ausnahmezustandes“.

So geben zwei Drittel (65 Prozent) der befragten Betriebe an, dass sie die Preissteigerungen bei Rohstoffen und Materialien in ihrer Geschäftstätigkeit beeinträchtigen. Auf Platz zwei ist der weiterhin akute Fachkräftemangel (54 Prozent). Gleich dahinter folgen, ebenfalls neu als Top-Herausforderungen, die Preissteigerungen bei Energie (49 Prozent) sowie die Zuliefer- und Lieferkettenprobleme (43 Prozent). Diese Themen machen den Unternehmen inzwischen sogar mehr zu schaffen als „Dauerbrenner“ wie Steuern und Abgaben (42 Prozent) oder Preiskonkurrenz (40 Prozent).

Gewerbe und Handwerk kämpft gegen exorbitante Kosten & drohende Pönalen

Die Spartenobfrau der WKO-Sparte Gewerbe und Handwerk untermauerte das mit konkreten Beispielen. Weil der Einkaufspreis für Stahl sich binnen weniger Wochen von 1,23 Euro je Kilogramm auf 2,30 Euro praktisch verdoppelt hat, droht ein österreichisches Metallbau-Unternehmen auf dem Verlust von 90.000 Euro sitzen zu bleiben. Ein anderer Metallbau-Betrieb kann eine Dachkonstruktion aus Stahl nicht fertigstellen, weil eine Komponente fehlt. Obwohl das Verschulden nicht im Einflussbereich des Unternehmens liegt, droht eine Vertragsstrafe. Auch Nachfolgeaufträge, etwa für Dachdecker, verzögern sich auf unbestimmte Zeit.

Für die rund 1.500 heimischen Agrarservice-Unternehmen, die mit ihren Großmaschinen Erntearbeiten durchführen und wichtig für die Grundversorgung sind, machen die Kraftstoffkosten beim derzeitigen Dieselpreis bis zu 60 Prozent der Gesamtkosten aus. Die Kosten für Landmaschinen sind um 25 bis 35 Prozent gestiegen.

Die mehr als 10.000 Tischler und Holzgestalter haben aufgrund des Krieges in der Ukraine und der Sanktionen gegen Russland Probleme, genügend Schnittholz, Hartholz oder Parkettböden zu erhalten. Auch Beschläge, Dämmstoffe oder Lacke sind schwer zu beschaffen. Sibirisches Lärchenholz für Fassaden, Verschalungen oder Profilholz steht aktuell gar nicht zur Verfügung. Das führt bereits zu Einschränkungen im Baubereich.

Und sogar die Energiewende ist durch Materialengpässe gefährdet. Wegen Lieferausfällen bei Aluminium aus der Ukraine für Leitungen kommt der Ausbau der Ortsnetze durch die Elektrotechniker ins Stocken. Photovoltaik-Module (PV) können ohne Aluminiumschienen nicht montiert werden – sofern überhaupt die notwendigen Wechselrichter vorhanden sind, um die PV-Gleichspannung in Wechselstrom zu wandeln. Denn hier gibt es weiterhin Lieferengpässe wegen des Chipmangels infolge der Corona-Pandemie.

Gleitende Preise

Vielen Baustellen droht somit der Stillstand. „Die Situation ist prekär. Sie droht für zahlreiche Unternehmen im Gewerbe und Handwerk existenzielle Ausmaße anzunehmen. Das Risiko der volatilen Preise und sprunghaften Kostensteigerungen können die Betriebe nicht alleine schlucken“, warnte Spartengeschäftsführer Reinhard Kainz. Er sieht es als Gebot der Stunde, dass neue Bauaufträge nur noch zu veränderlichen Preisen ausgeschrieben werden. Das hat soeben auch die Unabhängige Schiedskommission im Wirtschaftsministerium empfohlen.

Auch private und halböffentliche Auftragnehmer sollten diesem Beispiel folgen – und anstelle von Festpreisen eine Indexanpassung bzw. gleitende Preise anerkennen. „Krisensituationen wie der Krieg in der Ukraine sind unvorhersehbar und stellen höhere Gewalt dar, was gerade in der Praxis für bestehende Verträge mit Festpreisen von Bedeutung ist“, so Kainz. „Pönalen müssen vorübergehend ausgesetzt werden. Planbarkeit ist in normalen Zeiten ein wichtiges Gut; in einem Ausnahmezustand wie jetzt bedarf es der Flexibilität auf allen Seiten.“

Im Unterschied zum „Energiepaket“ für Haushalte ist noch die von der Bundesregierung versprochene effektive Entlastung für die Unternehmen ausständig. Diese könnte in Form einer Steuergutschrift erfolgen oder durch Einführung eines begünstigten Gewerbe-Dieseltarifs für Transporte im Gewerbe und Handwerk, fordern Scheichelbauer-Schuster und Kainz.

Eine Erholung, die keine war

Im Konjunktur-Rückblick hat das Jahr 2021 nicht den erhofften Aufschwung für das Gewerbe und Handwerk nach der Corona-Krise gebracht. „Unterm Strich steht preisbereinigt sogar ein reales Minus von -0,4 Prozent“, sagt Christina Enichlmair von KMU Forschung Austria. Der nominell hohe Umsatzzuwachs um 4,6 Prozent wurde durch die Preissteigerungen für Gewerbe und Handwerk mehr als zunichte gemacht.

Besonders stark unter Druck waren 2021 die konsumnahen Branchen wie Friseure (reales Minus: –14,5 Prozent), Fußpfleger, Kosmetiker und Masseure (-5,4 Prozent) sowie Mode und Bekleidungstechnik (-3,8 Prozent). Deutlich im Plus waren 2021 preisbereinigt lediglich die Personaldienstleister und das Sicherheitsgewerbe (+7,1 Prozent), die Kunststoffverarbeiter (+3,6 Prozent) sowie die Mechatroniker (+3,1 Prozent).

Kein Wunder, dass die große Unsicherheit auch den Ausblick dämpft. Für das zweite Quartal 2022 haben 24 Prozent der Betriebe aus dem Bereich Gewerbe und Handwerk positive Erwartungen, 59 Prozent rechnen mit Geschäften wie im Vorjahr. 17 Prozent gehen hingegen mit negativen Erwartungen ins zweite Jahresviertel – dieser Anteil ist doppelt so hoch wie in normalen Zeiten. Scheichelbauer-Schuster: „Die Erholung von der Corona-Pandemie ist 2021 leider eine optische Illusion geblieben. Speziell den konsumnahen Branchen machen weiterhin ‚Long-Covid-Folgen‘ zu schaffen. Und in den baunahen Branchen droht jetzt wegen der Lieferengpässe und Kostenexplosion der Stillstand. Ich kann mich nicht erinnern, jemals eine so geballte Häufung von Problemen erlebt zu haben.“

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