Die Energienetze müssen stärker und effizienter werden – das ist gemeinhin bekannt. Und die Zeit für Ausbau und Aufrüstung drängt. Doch die Herausforderungen sind komplex und im Detail prallen die unterschiedlichen Interessen aufeinander. Zu diesem Befund gelangte eine hochkarätige Diskussionsrunde, die auf Einladung des Forums Versorgungssicherheit vergangene Woche den vielen Fragen rund um den Umbau des österreichischen Energiesystems auf den Grund ging.
Herausforderungen durch erneuerbare Energien
Vier Parlamentarier und Parlamentarierinnen, die für die Gestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen im Energiebereich mit verantwortlich sind, stellten sich den Fragen und Vorschlägen: Die Abgeordneten zum Nationalrat Tanja Graf (ÖVP), Alois Schroll (SPÖ) und Karin Doppelbauer (Neos) sowie der Abgeordnete zum Bundesrat Adi Gross (Grüne). Moderiert wurde der Abend von Barbara Stöckl.
Im ersten Impulsreferat verwies der Geschäftsführer der Österreichischen Energieagentur Franz Angerer darauf, dass Wind- und Sonnenenergie großen natürlichen Schwankungen unterliegen, weshalb die Netze künftig mit extremen Lastspitzen zurechtkommen müssen. Eine Chance sieht Angerer hier in der Digitalisierung: „Die Netzbetreiber müssen auf Daten zugreifen können, damit sie genau wissen, was in ihren Netzen passiert. Das ist die Voraussetzung, um die Effizienz zu steigern.“ Zudem müssten die Netzbetreiber die Möglichkeit erhalten, bei Einspeisern wie auch bei den Konsumenten einzugreifen, um extreme Spitzenbelastung zu vermeiden.
Digitale Aufrüstung
Die digitale Aufrüstung der Netze ist auch in den Augen von Alfons Haber ein Schlüssel für die Bewältigung der Aufgaben. Als Vorstand der Regulierungsbehörde E-Control wünscht sich Haber „starke UND intelligente Netze“. Haber: „Die Transformation wird nur gelingen, wenn Information und Investition zusammenspielen.“ Deshalb sei es das Ziel des Regulators, Investitionen zu ermöglichen, aber zugleich die Kosteneffizienz im Auge zu behalten. Die künftige Gestaltung der Rahmenbedingungen wird von der Idee der Anreizregulierung geleitet werden, kündigte Haber an: „Die Produzenten wie auch die Konsumenten sollen tarifliche Vorteile genießen, wenn sie die Netze schonend nutzen. Wir müssen den Netzen die Möglichkeit geben, effizienter zu werden.“
Sektorkopplung
Eine noch weitgehend ungenutzte Möglichkeit, um Effizienz zu heben, liegt in der Sektorkopplung, mit der sich Wien Energie-Geschäftsführer Karl Gruber in seinem Impulsreferat beschäftigte. „Strom und Gas sind derzeit wie getrennte Länder mit regulatorischen Zollschranken. Jetzt kommt noch Wasserstoff als drittes Land hinzu, das ebenfalls wieder abgeschottet wird.“ Notwendig wäre es jedoch, die Übergänge von einem System ins andere so unkompliziert wie möglich zu gestalten.
Die Umwandlung von Strom durch Elektrolyse müsse gefördert und nicht behindert werden. Die bestehende und immer weniger genutzte Infrastruktur für Erdgas sollte für den Transport von Wasserstoff umgewidmet werden. Wasserstoff ist für Gruber unverzichtbar, um das zeitliche Auseinanderfallen von Stromerzeugung und Stromverbrauch zu überbrücken, das die erneuerbaren Energiequellen zwangsläufig mit sich bringen: „Wir müssen den Strom vom Tag in die Nacht und, noch wichtiger, vom Sommer in den Winter bringen. Das geht nur durch Speicherung und Umwandlung via Elektrolyse.“ Stromspeicher „leiden derzeit unter Doppelbelastung“, weil sowohl das Beladen als auch das Entladen besteuert werden, „das hemmt ihre Nutzung.“
Überzeugungsarbeit
Der Politik sind die aufgeworfenen Probleme sehr wohl bewusst – so die Antwort der Energiesprecher und -sprecherinnen am Podium. Tanja Graf (ÖVP) verwies auf die Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung, die bereits beschlossen wurden. Der Boom bei Photovoltaik habe aber Verteilernetze an die Grenze ihrer Möglichkeiten gebracht: „Wir brauchen eine Entschleunigung bei PV-Anlagen. Es hat keinen Sinn, durch Appelle und Förderungen bei den Menschen Erwartungen zu wecken, die dann nicht erfüllt werden können.“
Sie sprach sich ebenfalls für mehr Flexibilität bei der Gestaltung der Netztarife aus und legte ein Bekenntnis zur verstärkten Nutzung von Wasserstoff ab: „Wir sollten das Gasnetz nicht rückbauen, auch wenn wir für die Haushalte den Ausstieg aus der Nutzung von Erdgas befürworten. Wir brauchen die Gasinfrastruktur für den Wasserstoff.“ Ein wichtiger Aspekt für die Energiewende insgesamt, so Graf, „ist der Faktor Mensch. Wir müssen die Menschen überzeugen, nur dann werden sie die nötigen Maßnahmen akzeptieren. Das gilt für neue Leitungen und neue Umspannwerke ebenso wie für Eingriffe zur Steigerung der Effizienz.“
Verständnis für Veränderungen setzt Transparenz voraus, mahnte Neos-Abgeordnete Karin Doppelbauer ein: „Wir finden in Österreich leider ein hohes Maß an Technologiefeindlichkeit vor. Das hat sich schon beim Widerstand gegen Smart Meter gezeigt. Die Unternehmen der Energiewirtschaft, insbesondere die Netze, sind hier gefordert, Vertrauen durch Offenheit aufzubauen.“ Die Idee einer Leistungsbeschränkung für Einspeiser ist in Doppelbauers Augen „sicher notwendig, aber lediglich eine taktische Maßnahme. Das eigentliche Ziel muss immer der Ausbau bleiben.“
Adi Gross, Bundesrat der Grünen und selbst Energieexperte, erinnerte daran, dass zu den Zielen der Energiewende auch mehr Sparsamkeit in der Verwendung gehört: „Wir müssen den Verbrauch senken, es wird nicht möglich sein, den Energiebedarf immer weiter zu steigern und ihn trotzdem zur Gänze durch erneuerbare Quellen zu substituieren.“
Die Arbeit der Bundesregierung in der Energiepolitik bezeichnete Gross als „Aufholjagd“ und verwies auf die große Zahl an Gesetzen, die bereits das Parlament passiert haben. „In fast allen Fällen betreten wir dabei Neuland. Uns ist klar, dass wir immer nur erste Schritte gesetzt haben und dass viele dieser Gesetze schon bald an die neuen Entwicklungen angepasst werden müssen. Wir werden da sicher nicht nachlassen.“
Netze als Ermöglicher der Energiewende
Der SP-Abgeordnete Alois Schroll vermisste hingegen eine langfristige Gesamtstrategie: „Die Energiewende wurde nicht zu Ende gedacht. Man hat unterschätzt, was das alles für die Netze bedeutet. Jetzt stellen wir fest, dass die Netze gar nicht stark genug sind, um das umzusetzen, was die Regierung beschlossen hat.“ Er warnte davor, dass ein Nachhinken bei der Energiewende letztlich den Wirtschaftsstandort gefährden könnte. Deshalb dürfe die Energiepolitik auch nicht zum Wahlkampfthema für die Nationalratswahl 2024 werden: „Wir haben keine Zeit, wichtige Gesetze wegen des Wahlkampfs zu verzögern.“
Über das Ziel, die Netze zügig und zu volkswirtschaftlich vernünftigen Kosten auszubauen, herrschte Einigkeit – das stellte der Geschäftsführer der Wiener Netze Thomas Maderbacher abschließend fest. Maderbacher bekräftigte den unbedingten Willen der Netzbetreiber, ihre Rolle als Ermöglicher der Energiewende wahrzunehmen: „Damit uns das gelingt, brauchen wir eine Menge an Veränderungen in den Gesetzen und regulatorischen Vorschriften. Der Netz-Talk des Forums Versorgungssicherheit hat gezeigt, dass die Notwendigkeit auch bei den Entscheidungsträgern erkannt wurde.“