70,9 Prozent der Betriebe im Gewerbe und Handwerk klagen, dass die Belastungen durch Bürokratie in den vergangenen drei Jahren zugenommen haben. Für 28,7 Prozent blieb alles unverändert, eine Entlastung spüren nur verschwindende 0,4 Prozent. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Befragung, die KMU Forschung Austria im Auftrag der Bundessparte Gewerbe und Handwerk in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) durchgeführt hat.
Der durch bürokratische Auflagen verursachte Aufwand ist beträchtlich: Die Gesamtkosten für das Gewerbe und Handwerk belaufen sich auf 4,3 Milliarden Euro pro Jahr. Es müssen dafür jedes Jahr rund 70 Millionen Arbeitsstunden aufgewendet werden. Das entspricht 42.190 Vollzeit-Arbeitsstellen oder 6,6 Prozent der gesamten Personalkapazität.
Bürokratie-Stopp als Konjunkturpaket
„Die große Stärke unserer Betriebe ist der Servicegedanke und die Nähe zu den Kundinnen und Kunden: Wir möchten unsere Arbeit machen und uns um die Menschen kümmern können, nicht um Formulare. Wir fordern deshalb einen Bürokratie-Stopp“, sagte Renate Scheichelbauer-Schuster, Obfrau der Bundessparte Gewerbe und Handwerk in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), am 11. Juli bei einem Pressegespräch.
Die Umfrage zeigt zudem, dass überbordende Bürokratie den Fachkräftemangel verschärft, die Inflation anheizt, Investitionen hemmt und Innovation behindert. Ein Zurückfahren des Mehr-Aufwandes um nur 10 Prozent könnte die Betriebe um 430 Mio. Euro Kosten pro Jahr entlasten und 4.200 Vollzeitkräfte für produktive Tätigkeiten freispielen. „Ein effektiveres und günstigeres Konjunkturpaket ist gar nicht vorstellbar“, betonte Spartengeschäftsführer Reinhard Kainz.
Minus im ersten Quartal 2024
Der Zeitpunkt wäre goldrichtig: Die Konjunkturbeobachtung von KMU Forschung Austria zeigt nämlich, dass sich das Gewerbe und Handwerk weiterhin in einem schwierigen Umfeld befindet. So wurde im ersten Quartal 2024 im Gewerbe und Handwerk ein Auftrags- bzw. Umsatzminus von nominell -3,6 Prozent erwirtschaftet. Unter Einrechnung der gestiegenen Preise ergibt das einen realen (mengenmäßigen) Rückgang von -8,1 Prozent.
Besonders groß fiel das Minus in stark von der Baukonjunktur abhängigen, investitionsgüternahen Branchen aus, etwa im Holzbau oder der Metalltechnik. Im Plus waren hingegen primär konsumnahe Branchen wie Mode und Bekleidungstechnik oder das Lebensmittelgewerbe.
Auch im zweiten Quartal (April bis Juni) 2024 sind die Auftragsbestände in nahezu allen investitionsgüternahen Branchen gesunken. Besonders stark spürten das die Hafner, Platten- und Fliesenleger (-19 Prozent), Sanitär-, Heizungs- und Lüftungstechniker (-16 Prozent) sowie die Elektro-, Gebäude-, Alarm- und Kommunikationstechniker (-13 Prozent). Geringfügige Zuwächse hatten Dachdecker, Glaser und Spengler (+2,3 Prozent).
Bei den konsumnahen Betrieben hält sich die Zahl der Betriebe, die im zweiten Quartal Umsatzsteigerungen (21 Prozent) hatten, nun fast die Waage mit jenen, die Rückgänge verzeichneten (22 Prozent). Mehr Betriebe mit Umsatzsteigerungen gibt es in der Mode und Bekleidungstechnik, bei Fußpflegern, Kosmetikern und Masseuren sowie im Lebensmittelgewerbe. Einen Überhang an Betrieben mit Umsatzverlusten gibt es hingegen bei Personaldienstleistern und Sicherheitsgewerbe, Berufsfotografen und Mechatronikern.
Stimmung verbessert
Die Erwartungen haben sich – eher unüblich im Übergang vom zweiten auf das dritte Quartal – aufgehellt. Auch hier ist das Bild noch zweigeteilt: Die konsumnahen Branchen sind optimistischer – die Betriebe, die Umsatzsteigerungen erwarten, überwiegen um einen Prozentpunkt. Bei den investitionsgüternahen Betrieben ist dieser Saldo noch negativ (-15 Prozentpunkte), allerdings besser als im Vorquartal (-23 Prozentpunkte).
„Die Richtung stimmt, es geht bergauf. Aber wir sind noch nicht über den Berg“, betonte Spartenobfrau Renate Scheichelbauer-Schuster. Sie appelliert an die Bundesländer, das Wohnbaupaket der Regierung rasch umzusetzen, sodass die Förderungen und Zuschüsse noch heuer bei Bauwerbern und Wohnbaugesellschaften ankommen.
Ab 15. Juli: Anträge für Handwerkerbonus stellen
Große Erwartungen setzen die Betriebe in den Handwerkerbonus, der rückwirkend für Arbeitsleistungen ab 1. März 2024 beantragt werden kann. Ab nächster Woche, 15. Juli 2024, können nun die Anträge gestellt werden (weitere Informationen zum Handwerkerbonus finden Sie hier). Das Interesse ist groß: Laut Umfrage sehen drei Viertel der Österreicher:innen (74 Prozent) den Handwerkerbonus als „attraktives Angebot“. 37 Prozent wollen ihn sicher nutzen, weitere 27 Prozent überlegen es sich noch.
Der Handwerkerbonus ist ein Gewinn für die Konsument:innen, die sich Geld ersparen und auf Top-Qualität vertrauen können. Er hilft den Betrieben, weil Investitionen vorgezogen werden. Und er rechnet sich auch für den Staat, weil Schwarzarbeit verhindert wird und sich die Maßnahme selbst finanziert.
Renate Scheichelbauer-Schuster
Meistertitel für 14 handwerksähnliche Gewerbe
Besonders groß ist die Freude in der Sparte, dass künftig 14 weitere Gewerbe den Meistertitel als Namensbestandteil führen und in Dokumente und Urkunden eintragen lassen dürfen. Das wurde durch eine Gewerberechtsnovelle möglich, die noch vor der Sommerpause im Parlament beschlossen wurde.
Der eintragungsfähige Meistertitel betrifft 14 handwerksähnliche Gewerbe, konkret sind das: Elektrotechnik, Gas- und Sanitärtechnik, Kontaktlinsenoptik, Kosmetik/Schönheitspflege bzw. Piercen und Tätowieren, Fußpflege, Massage, Bestattung, Vulkaniseur:in, Waffengewerbe/Büchsenmacher:in, Sprengungsunternehmen sowie Baumeister:in, Brunnenmeister:in, Steinmetzmeister:in, Holzbau-Meister:in.
Damit werden meisterliche Leistungen und höchste Qualifikationen noch besser sichtbar. Der Meistertitel ist gleichwertig mit dem akademischen Bachelor eingestuft. Das ist ein Signal für junge Menschen, dass sich mit dem Einstieg über eine Lehre großartige berufliche Perspektiven eröffnen.
Renate Scheichelbauer-Schuster