Das Beratungsunternehmen Deloitte hat für eine aktuelle Umfrage heimische Unternehmen und Jugendliche um ihre Einschätzungen zum Thema Lehre gebeten. Die Mehrheit der Betriebe bildet Lehrlinge aus, um den zukünftigen Bedarf an qualifizierten Fachkräften zu decken. Während Unternehmen primär nach interessierten und motivierten Lehrlingen suchen, sind für Jugendliche ein kollegialer Umgang im Team sowie die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit zentrale Kriterien. Handlungsbedarf herrscht auf Unternehmensseite bei der Integration von alternativen Zielgruppen – hier gibt es noch viel ungenutztes Potenzial.
Der Arbeitskräftemangel ist am österreichischen Arbeitsmarkt auf breiter Ebene spürbar und die Situation spitzt sich weiter zu. Ein Lösungsansatz besteht darin, die benötigten Fachkräfte im Rahmen der Lehre selbst auszubilden. Mit der Studie „Youth Pulse Check“ hat sich Deloitte ein Bild davon gemacht, wie gut Unternehmen und Jugendliche im Rahmen der Lehre bereits zueinanderfinden und welche Hürden noch bestehen. Dafür wurden im Frühjahr 2022 rund 100 heimische Unternehmen sowie 100 Schüler und Lehrlinge befragt.
Herausforderungen bei der Suche nach Lehrlingen
Die Ausbildung eigener Lehrlinge gilt hierzulande schon länger als unternehmerische Gegenmaßnahme zum Fachkräftemangel: Der Großteil der befragten Unternehmen (80 %), die aktuell Lehrlinge ausbilden, geben die Sicherung des zukünftigen Bedarfs an Fachkräften als Hauptgrund für die innerbetriebliche Ausbildung an.
Allerdings stehen Betriebe bei der Auswahl von Lehrlingen vor Herausforderungen: Zwei Drittel der Unternehmen mit Lehrangebot beklagen, dass die Mindestanforderungen an eine Stelle von den Bewerbern nicht erfüllt werden. Mehr als die Hälfte der Befragten erhält generell zu wenige Bewerbungen auf Lehrstellen und jeder zweite Betrieb gibt an, dass es seitens der Bewerber an Motivation und Arbeitsbereitschaft fehlt.
„Ein Drittel der interessierten Unternehmen hat Schwierigkeiten bei der Gewinnung von Lehrlingen. Um dem zu begegnen, sollten Unternehmen auf innovative Lösungen setzen“, unterstreicht Elisa Aichinger, Partnerin bei Deloitte Österreich. „Das beginnt bereits beim Arbeitsmarktauftritt: Jugendliche unterscheiden sich von älteren Arbeitnehmern hinsichtlich ihrer Werte und Einstellungen. Unternehmen müssen konkret bei den Bedürfnissen der jungen Mitarbeiter ansetzen, um als attraktiver Arbeitgeber zu punkten.“
Außerdem besteht bei der Lehrlingsauswahl oft ein Spannungsfeld zwischen Persönlichkeit und fachlicher Qualifikation. Dazu ergänzt Katrin Hintermeier, Managerin bei Deloitte Österreich: „Betriebe sollten sich mehr auf die Potenziale der jungen Menschen fokussieren und weniger auf bereits erworbene Kompetenzen achten. Mit praktischen, am Berufsalltag orientierten Übungen lassen sich konkrete Begabungen sowie soziale Kompetenzen erheben.“
Handlungsbedarf bei Integration alternativer Zielgruppen
Um dem Mangel an Lehrlingen entgegenzuwirken empfiehlt es sich, auch auf neue Zielgruppen zu setzen. Alternative Zielgruppen – das sind Jugendliche mit Fluchthintergrund, niedrigen Vorqualifikationen, Lernschwierigkeiten oder körperlichen Einschränkungen – stellen eine noch kaum adressierte Personengruppe am Arbeitsmarkt dar.
Erst ein Drittel der befragten Unternehmen integriert bewusst diese Personen. Die übrigen 62 % der Betriebe haben zwar bereits erkannt, dass die Integration dieser Zielgruppen für die Reduzierung des Fachkräftemangels wichtig ist – hat aber noch keine aktiven Schritte gesetzt. Es braucht hier gezielte Maßnahmen, um die Integration auch zu ermöglichen.
„Unternehmen sollten nicht nur die Aufnahme alternativer Zielgruppen, sondern auch die Eingliederung und die Zusammenarbeit aktiv gestalten. Durch Maßnahmen wie professionelle HR-Strukturen, Anpassungen von Arbeitsabläufen oder ein offenes Gesprächsklima werden positive Erfahrungen für alle Beteiligten geschaffen“, so Katrin Hintermeier.
Unterschiedliche Erwartungen von Unternehmen und Jugendlichen
Die Erwartungshaltungen seitens der Unternehmen und der zukünftigen Lehrlinge passen häufig nicht zusammen. Interesse und Motivation seitens der Jugendlichen stellen für 93 % der Unternehmen die wichtigsten Einstellungskriterien dar. 81 % achten auch darauf, dass die Persönlichkeit des Jugendlichen zum Unternehmen passt.
Um für zukünftige Lehrlinge attraktiv zu sein, werben Betriebe am häufigsten mit den sicheren Zukunftsaussichten der Berufe (69 %) und mit der garantierten Jobübernahme nach der Lehre (43 %). Für die befragten Jugendlichen stehen bei der Wahl einer Lehrstelle jedoch eine kollegiale Atmosphäre sowie eine sinnstiftende Tätigkeit an erster Stelle.
Und während Lehrlinge die Unterstützung durch Arbeitskollegen und Führungskräfte besonders schätzen, legen Schüler noch primär Wert auf ein gutes Gehalt. „Die Ausübung eines Berufes verändert die Perspektive – die gute Zusammenarbeit im Team gewinnt in der Praxis gegenüber monetären Aspekten an Bedeutung. Schnuppertage, Praktika oder ähnliche Initiativen helfen dabei, potenziellen Lehrlingen die Unternehmenskultur und Arbeitsatmosphäre bereits früh zu vermitteln“, erklärt Deloitte Expertin Elisa Aichinger abschließend.