Bis 2050 soll Europa klimaneutral sein, Österreich laut erklärtem Ziel schon 2040. Nach der Digitalisierung treiben Dekarbonisierung und Nachhaltigkeit die nächste große Transformation der Wirtschaft voran.
Vor diesem Hintergrund haben der Handelsverband und EY Österreich in Zusammenarbeit mit MindTake Research eine großangelegte Konsumentenstudie mit über 1.000 Befragten durchgeführt, um die Einstellung der österreichischen Verbraucher:innen im Bereich der Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft zu untersuchen. Ergänzt wurde diese Studie mit einer Händlerbefragung unter 81 Mitgliedern des Handelsverbands, die den Status quo und die zukünftigen Auswirkungen von Nachhaltigkeit als Bestandteil der Unternehmensstrategie evaluiert.
Händlerbefragung: Nachhaltigkeit als Chance und aus Überzeugung
84 Prozent der Händler sehen es als Chance, im Nachhaltigkeitsbereich aktiver zu werden. Dies geht aus der parallel zur Konsumentenbefragung durchgeführten Händlerbefragung hervor. In logischer Konsequenz ist das Thema Nachhaltigkeit Chefsache – bei mehr als 80 Prozent der Unternehmen liegt die Verantwortung beim Vorstand, der Geschäftsführung oder dem:r Eigentümer:in.
Das Thema Nachhaltigkeit ist derzeit bei einem Viertel der heimischen Handelsunternehmen ein integraler Bestandteil der Strategie (27 %), bei weiteren 57 Prozent teilweise. Der CO2-Fußabdruck wird von einem Drittel der befragten Handelsunternehmen bereits erhoben, ein weiteres Drittel plant dies in den nächsten zwei Jahren zu tun.
Die entscheidenden Treiber für nachhaltiges Handeln in der Branche: Den Wünschen der Konsument:innen zu entsprechen (84 %), persönliche Motive wie die Überzeugung, im Sinne der Kinder und Enkel zu handeln (82 %), und erst drittgenannt strategische Überlegungen (81 %).
Top-Nachhaltigkeitsthemen des Handels
Kaum ein Nachhaltigkeitsbereich steht nicht im Fokus der befragten Handelsunternehmen. An erster Stelle rangiert das Sortiment, also das Angebot von Produkten aus nachhaltiger Herstellung sowie faire Arbeits- und Produktionsbedingungen bei den Lieferanten bzw. in den produzierenden Ländern. Auch die Themen Kreislaufwirtschaft, Müllvermeidung, Recycling und nachhaltige Verpackungen spielen eine wichtige Rolle. Damit deckt sich die Agenda weitgehend mit den Erwartungen der österreichischen Konsument:innen.
Händler-Hürden auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit
Eine der größten Herausforderungen auf dem Weg zu nachhaltigem Wirtschaften sehen die heimischen Händler in der Unklarheit der Kundenwünsche und der damit verbundenen Zahlungsbereitschaft der Konsument:innen. Nachhaltige Sortimente sind in der Regel teurer, die Preissensibilität der Kund:innen hoch, zudem ist durch den Wildwuchs an Nachhaltigkeitssiegeln die Transparenz für die Konsument:innen oft nicht gegeben.
Die zentralen Ergebnisse
- Top-Nachhaltigkeitskriterien der Konsument:innen beim Einkauf: Regionalität (77 %) und Tierwohl (72 %).
- Top-Nachhaltigkeitsthemen der Konsument:innen: Müllvermeidung, Recycling, nachhaltige Verpackungen (62 %), Vermeidung von Produkt- oder Lebensmittelverschwendung (55 %) sowie Tierwohl (54 %).
- Überzahlungsbereitschaft der Konsument:innen variiert nach Thema: Für regionale und Bio-Produkte würden 57 % tiefer in die Tasche greifen, jede:r Zehnte würde sogar 25 % oder mehr aufzahlen. Für fair gehandelte Produkte ist knapp die Hälfte (49 %) bereit, aufzuzahlen.
- Hemmschuhe beim nachhaltigen Konsum sind für Konsument:innen nach dem höheren Preis für Öko-Produkte (47 %) insbesondere Verzichtsunwillen (36 %), Bequemlichkeit (23 %) und mangelnde Aufklärung (21 %).
- Worauf würden Konsument:innen am ehesten verzichten für mehr Nachhaltigkeit? Vereinzelt leeres Supermarktregal, Marken-Boykott und -1° C Heizwärme zuhause rangieren weit vor Verzicht auf Fleisch, Auto oder Reisen.
- Ältere Personen haben sowohl beim Lebensmittel- als auch beim Kleidungskauf überdurchschnittlich hohe Erwartungen an Nachhaltigkeitsaspekte. 18- bis 29-Jährige sind eher bereit aufzuzahlen, jedoch schwächer im Verzicht.
- Green-App als Trend-App: Positive Anreize wie ein Bonusprogramm für nachhaltigen Konsum für 75 Prozent interessant – über alle Altersgruppen hinweg.
- Händler sehen Nachhaltigkeit als Chance (84 %) und Chefsache (85 %). Hemmschuhe sind Unklarheit über Zahlungsbereitschaft der Kund:innen (42 %), mangelnde Kapitalausstattung (33 %) sowie mangelnde Information über geeignete Maßnahmen, um ein nachhaltiges Wirtschaften zu erreichen (33 %).
Nachhaltigkeitskriterien beim Einkauf an dritter Stelle
Beim Kauf von Lebensmitteln achten die Verbraucher:innen vor allem auf ein gutes Preis-Leistungsverhältnis (87 %) und eine hohe Produkt-Qualität (83 %). Ab dritter Stelle folgen Nachhaltigkeitskriterien wie Regionalität (77 %), Tierwohl (72 %) oder der Verzicht auf fragwürdige Inhaltsstoffe (68 %). Ähnlich verhält es sich beim Kauf von Kleidung, hier spielt jedoch das Thema Regionalität eine deutlich untergeordnete Rolle. Die Hälfte der Befragten gibt an, auf einen „generell niedrigen Preis“ Wert zu legen.
Also keine Preistoleranz?
Die Hälfte der Befragten gibt an, zuweilen weniger nachhaltig zu agieren, als sie vielleicht könnte, weil nachhaltige Produkte meist teurer sind – sie können oder wollen sich Öko-Produkte nicht immer leisten. Dennoch ist jede:r zweite Konsument:in bereit, für nachhaltigeren Konsum bis zu fünf Prozent des Haushaltseinkommens aufzuzahlen. Eine Aufzahlung von zehn Prozent kommt nur für ein Viertel der Bevölkerung in Frage. Jüngere Menschen zwischen 18-29 Jahren zeigen eine höhere Bereitschaft, für nachhaltige Produkte mehr Geld in die Hand zu nehmen. Bei differenzierter Betrachtung zeigt sich jedoch, dass nachhaltig nicht gleich nachhaltig ist.
Gründe gegen nachhaltiges Handeln?
Nach dem Preis folgen Bequemlichkeit und fehlende Aufklärung. Ein Drittel der Konsument:innen möchte ungern auf Komfort wie Auto, Flugreisen oder den Wäschetrockner verzichten. Jede:r Fünfte fühlt sich zu wenig darüber informiert, was man als Einzelperson tun kann, um nachhaltiger zu konsumieren.
Leeres Regal statt Verzicht aufs Auto. Belohnungen willkommen.
Ebenso ist das Boykottieren von Marken und Händlern, die Umweltsünden begehen oder Menschenrechte verletzen, für drei Viertel vorstellbar. Zwei Drittel würden zuhause sogar auf 1° C Heizwärme verzichten, während der vermehrte Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel für nur knapp die Hälfte vorstellbar wäre.
Ambivalente Jugend & achtsame ältere Generation?
Danach gefragt, wer ihrer Meinung nach am stärksten für Nachhaltigkeit in die Verantwortung zu nehmen ist, nennen die Österreicher:innen an erster Stelle die Produzenten und Lieferanten, gefolgt von der Politik, dem Handel und zuletzt den Konsument:innen.
Nachhaltigkeitssiegel: Dickicht statt Transparenz
Hinsichtlich Nachhaltigkeitssiegel ist das Vertrauen der Österreicher:innen durchmischt: Nur vier von zehn Personen vertrauen auf Nachhaltigkeitssiegel (42 %), mehr als ein Drittel (38 %) ist sich diesbezüglich unsicher. Am ehesten wird auf das AMA-Gütesiegel (68 %) geachtet, wie auch auf das Fairtrade-Siegel (65 %) und das MSC-Siegel (56 %).
Mieten statt kaufen gute Alternative
Was beim Skifahren schon gelebter Alltag ist, rückt nun in viele weitere Lebensbereiche vor: Das Anmieten von Produkten, anstatt sie zu kaufen. Während nur drei von zehn Personen derartige Mietmodelle generell ablehnen, können sich 40 Prozent der Kund:innen vorstellen, dies bei Sportprodukten und Autos zu nutzen. Aber auch bei Produktgruppen, in denen das Mieten bisher eher unüblich war, wird die Bereitschaft spürbar: Jede:r Fünfte kann sich das Mietmodell für Haushaltsgeräte wie Waschmaschine, Wäschetrockner, Kaffeemaschine oder für Elektrogeräte wie Fernseher und Playstation vorstellen. Für ein Zehntel ist die Anmietung von Möbeln oder Babykleidung denkbar.