Die Energiewende steht und fällt mit der Fähigkeit, wetterabhängige Stromerzeugung zuverlässig in das Energiesystem zu integrieren. Während Speichersysteme oft als Schlüssel zur Lösung dieses Problems dargestellt werden, wird die Komplexität ihrer systemischen Integration häufig unterschätzt. Ein Beitrag von Gastautor Herbert Saurugg.
In der öffentlichen Debatte dominieren technischer Optimismus und Einzelmaßnahmen, doch die eigentlichen Herausforderungen liegen tiefer: Es fehlt ein Konzept, welches die technischen, wirtschaftlichen und regulatorischen Aspekte miteinander verzahnt und die Vielzahl an Akteuren koordiniert.
In diesem Beitrag werden einige Zusammenhänge aufgezeigt, die in der öffentlichen Diskussion kaum eine Rolle spielen. Damit sollen potenzielle und absehbare Nebenwirkungen bewusst gemacht werden, um Fehlentwicklungen und unnötige Kosten zu reduzieren. Denn ein System ist mehr als die Summe seiner Teile.
Das Speicher-Dilemma
Wetterabhängige Energiequellen aus Wind- und Solarenergie können naturbedingt nicht zu jedem Zeitpunkt die benötigten Energiemengen bereitstellen. In einem System, in dem permanent genauso viel produziert werden muss, wie gerade verbraucht wird, stehen wir daher vor einem fundamentalen Problem, das zu einem gravierenden Dilemma führt: Je höher der Anteil volatiler Erzeugung, desto komplexer werden die Anforderungen, das Gesamtsystem permanent stabil zu halten. In der alten Energiewelt war das relativ einfach, da die notwendige Energie jederzeit aus der in der Primärenergie gespeicherten Energie abgerufen werden konnte.
Im Jahr 2024 lag der Anteil nicht fossiler Energien an der österreichischen Nettostromerzeugung bei über 87 Prozent. Durchschnittswerte verschleiern jedoch die Realität: Der Anteil erneuerbarer Energien schwankte im Laufe des Jahres erheblich und reichte von 31 bis 193 Prozent. Das heißt, es gibt Zeiten, in denen fast doppelt so viel produziert wird, wie im Inland gerade verbraucht wird. In anderen Zeiten fehlen jedoch zwei Drittel des Bedarfs. Dabei hat Österreich im Gegensatz zu Deutschland aufgrund seiner Wasserkraft massive Vorteile, inklusive der Möglichkeit, Überschüsse in Pumpspeicherkraftwerken zu speichern.
Während Deutschland etwa 40 Gigawattstunden (GWh) Speicherkapazität hat, sind es in Österreich rund 3.300 GWh. Doch auch diese reichen nicht aus, um die saisonalen Schwankungen auszugleichen. Die deutsche Kapazität reicht gerade einmal für 30 Minuten.
Unter Berücksichtigung der theoretisch verfügbaren Batteriespeicherkapazitäten in Elektroautos und unter der Annahme von aktuell 200.000 Elektrofahrzeugen mit einer sehr optimistischen, theoretisch verfügbaren Speicherkapazität von 50 kWh pro Fahrzeug läge die Gesamtkapazität bei rund 10 GWh. Hinzu kommen die installierten PV-Batteriespeicher mit einer Kapazität von etwa 2,2 GWh, was eine theoretische Gesamtspeicherkapazität von rund 12 GWh ergibt, womit der österreichische Strombedarf rund zwei Stunden gedeckt werden könnte.
Allerdings kann man diese nur einmal entleeren. In Engpasszeiten gibt es nämlich auch häufig kaum nennenswerte Überkapazitäten, um die Speicher wieder zeitnah laden zu können. Ganz zu schweigen von der technischen Komplexität, diese Kapazität wirklich nutzen zu können. Auch muss/möchte man selbst bei Dunkelflaute weiterhin mit seinem Auto fahren. Auf dem Papier klingt das alles einfach und plausibel, doch die Realität sieht häufig schwieriger aus. Es ist unerheblich, ob es sich in 99 Prozent der Fälle ausgeht. Es muss sich zu einhundert Prozent ausgehen.

Fehlende systemische Integration und Orchestrierung
Ein weiteres Problem ist die fehlende systemische Integration der vorhandenen Speicher. In Österreich dominieren Heimspeicher, die oft unabhängig voneinander und ineffizient geladen werden. Es fehlt eine übergeordnete Orchestrierung, die sicherstellt oder zumindest anreizt, dass Speicher dann geladen werden, wenn Überschüsse vorhanden sind, und entladen werden, wenn das Netz es benötigt. Im Gegensatz dazu setzt Kalifornien auf zentral gesteuerte Großspeicher, die netzdienlich eingesetzt werden können. Hierzulande erschweren regulatorische Vorgaben, mangelnde Digitalisierung und fehlende Planung die optimale Nutzung der Speicher. Netzbetreiber sind auf den Netzbetrieb beschränkt und können Speicherprojekte nicht systemisch steuern oder platzieren. Hinzu kommen praktische Hürden wie Platzbedarf, Bauvorschriften und fehlende Netzanschlusskapazitäten, die eine rasche Skalierung verhindern.
Netzintegration
Zwar drängen immer mehr Anbieter auf den Markt, die ein aktives Energiemanagement für Speicherbetreiber anbieten (Home Energy Management System, HEMS) und somit zu einer Entlastung beitragen. Allerdings zählen mangels Vorgaben auch hier nur der Strompreis und bestenfalls noch das Wetter als Steuerungssignal. Bei einer entsprechenden Skalierung führt das aus Systemsicht dazu, dass der Speicherbetrieb auch kontraproduktiv erfolgen wird, wodurch sich die Probleme zu gewissen Zeiten sogar noch verschärfen, wenn viele Einheiten ähnlich handeln und dabei die lokale und überregionale Netzsituation außer Acht lassen. Auch hier fehlt die Orchestrierung bzw. die Einbeziehung der Netzsituation.
Hier wird gerne darauf verwiesen, dass dies erst geschehen wird, wenn es eine Incentivierung gibt. Das ist grundsätzlich nachvollziehbar, übersieht aber, dass die Systemverfügbarkeit bisher viel zu wenig wertgeschätzt wird. Alle wollen für ihre Leistungen entlohnt werden, die Nutzung des Systems soll jedoch nichts kosten. Das kann nicht funktionieren. Daher ist die Diskussion, dass auch Einspeiser für die Netznutzung aufkommen sollen, durchaus berechtigt, auch wenn eine Differenzierung erforderlich ist. Wer sich zum Zeitpunkt X systemdienlich verhält, soll belohnt werden; wer nicht, soll dafür aufkommen müssen. Das würde automatisch ein systemdienliches Verhalten anreizen.
Wird fortgesetzt …

Herbert Saurugg, MSc, ist ein international anerkannter Experte für Blackout- und Krisenvorsorge sowie Präsident der Gesellschaft für Krisenvorsorge (www.gfkv.org). Der ehemalige Berufsoffizier betrachtet seit 2011 die Verwundbarkeit kritischer Infrastrukturen aus einer systemischen Perspektive, mit Schwerpunkt auf dem europäischen Stromversorgungssystem.
In zahlreichen Publikationen, Keynotes und auf seinem umfangreichen Fachblog (www.saurugg.net) vermittelt er praxistaugliche Lösungsansätze und unterstützt Gemeinden, Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben sowie Unternehmen bei einer ganzheitlichen Krisenvorsorge.
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