Pandemiebedingt nimmt der Strukturwandel im Handel deutlich an Fahrt auf. Laut einer aktuellen Studie des Instituts für Handelsforschung beschleunigt er sich derzeit um etwa sieben bis acht Jahre.
Das IFH spricht von einem „Coronaturbo“. Die Folge: Händler müssen noch schneller auf geänderte Kundenbedürfnisse reagieren. Benjamin Thym, Gründer und CEO des Retail Marketing Networks Offerista Group, beleuchtet fünf Strategie-Trends, die Händler für sich prüfen sollten. „Es gibt kein Patentrezept, sondern vielmehr die Notwendigkeit, viele Strategien rasch und gut zu erproben und somit die Krise auch als Chance zu nutzen“, erklärt Benjamin Thym.
1. Hybrid-Shopping bleibt – der Online-Anteil wächst
Der stationäre Handel ist nicht tot und wird auch in Zukunft nicht verschwinden. Drei von vier österreichischen Konsumenten (75 Prozent) vermissen es laut einer Studie von Offerista während der Pandemie, vor Ort im Laden einzukaufen – in erster Linie, weil ihnen das Kauferlebnis im Store aber auch das Anschauen und Anprobieren von Produkten fehlt. Der damit verbundene Umsatzrückgang hat für viele stationäre Geschäfte dramatische Konsequenzen, sie müssen sich komplett wandeln – innovativer, digitaler und serviceorientierter werden. Bisher rechnete das IFH Köln mit einem Online-Anteil am Handel von bis zu 22 Prozent bis 2030. Nun werden diese „Vor-Corona-Prognosen“ insgesamt bis zu acht Jahre früher eintreten. Doch nicht alle Händler brauchen künftig Online-Shops, allerdings sollten sie im Netz mit ihrer Marke und ihren Angeboten präsent sein – mit einer Website, über Social Media, digitale Werbeformate oder Bewertungen. Stichwort Omni-Channel. Durchschnittlich brauchen Konsumierende nämlich sechs Kontrapunkte bis zum Kauf.
2. Kundenerlebnisse gewinnen an Bedeutung
Das normale Konsumverhalten ist durch die eingeschränkten Möglichkeiten in der Corona-Krise gestört. Der Wunsch nach besonderen Einkaufserlebnissen, die Experience Economy, wird dadurch langfristig an Bedeutung gewinnen. Jeder Ausflug zum Shopping in die Innenstadt wird dann zu einer bewussten Entscheidung der Konsumierenden. Der Wert des Einkaufens und des physischen Erlebnisses nimmt zu. Dabei werden jene Händler und Marken gewinnen, die ein herausragendes und konsistentes Kundenerlebnis offline wie online bieten. Die Customer Experience wird ein noch stärkerer Wettbewerbsvorteil, wenn sich Produkte immer ähnlicher, der Preiswettbewerb immer härter und Märkte immer transparenter werden.
3. Chancen durch Kooperationen und Marktplätze
Erst kürzlich hat das Modeunternehmen C&A Aufsehen damit erregt, nun auch über Zalando zu verkaufen, um von der Reichweite des bekannten Online-Modehändlers zu profitieren. Händler sollten tatsächlich dort sichtbar sein und ihre Produkte anbieten, wo sich ihre Kunden bewegen. Denn sind sie es nicht, profitieren andere. Warum also nicht sowohl die eigene Plattform stärken als auch parallel Marktplätze und Retail-Media-Angebote nutzen? Immer mehr Händler werden zukünftig ihre Kundenkontakte monetarisieren, wie beispielsweise Intersport, die Werbeflächen in den Online-Kanälen und auf den Flächen der Händler vor Ort zur Vermarktung anbieten, auch für branchenfremde Unternehmen. Auch hier gilt der Omnichannel-Ansatz, um mehr Sichtbarkeit, Reichweite und neue Zielgruppen zu erreichen.
4. Social Shopping ist auf dem Vormarsch
Die Pandemie treibt das Social Shopping voran. Dabei werden zwei Dinge verknüpft, die den Menschen in dieser Zeit so fehlen: der Austausch miteinander und das Einkaufen. Über Social-Shopping-Apps oder Social-Media-Plattformen wie Instagram kann digital und auch live zusammen mit Freunden oder anderen Fans einer Marke eingekauft werden. Knapp ein Drittel der Deutschen hat schon einmal über Social-Media-Kanäle Produkte bestellt. Während der Corona-Krise haben neun Prozent dies entweder das erste Mal oder verstärkt getan (Greven Medien/YouGov, 2020[3]). Social Shopping bietet weitere wichtige Touchpoints mit den Konsumierenden, auf die Marken und Händler künftig setzen sollten.
5. Nichts geht mehr ohne Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit ist kein Trend mehr, sondern eine gesetzte Richtung, in die sich Produkte, Verpackungen, Logistik und das Handelsmarketing mittelfristig bewegen müssen. Selbst traditionelle Artikel wie Zahnbürsten aus Plastik werden heute hinterfragt. Dasselbe gilt für auch für klassische Werbeformen wie dem gedruckten Prospekt, für das es bereits smarte digitale Alternativen gibt. Und diese werden auch von Konsumenten begrüßt. 62 Prozent der österreichischen Verbraucher informieren sich heute häufiger über Angebote des Handels auf digitalen Kanälen, wie Websites, Apps und Social Media, als noch vor einigen Jahren. Und für 70 Prozent hat die Digitalisierung der Angebotskommunikation das Print-Prospekt ersetzt, so eine weitere Zahl aus der Studie zu Informationsverhalten bei Aktion & Angebotskommunikation im Handel.