Die Schwankungen, die Photovoltaik, Windkraft und die sich entwickelnde E-Mobilität mit sich bringen, belasten das Stromnetz in Österreich. Was bisher fast nur Einbahnstraße – vom Kraftwerk zu den Verbrauchern – war, entwickelt sich zu einem lebhaften Marktplatz.
Zwei Arten von Netzen dienen dem Stromtransport: das Übertragungsnetz für weite Strecken – vergleichbar mit Autobahnen – sowie das Verteilnetz, das ähnlich wie Landstraßen und Feldwege Private und Unternehmen direkt mit Strom versorgt. Wichtig für funktionierende Netze ist, dass Erzeugung und Verbrauch immer in Balance sind.
Die Aufgabe der Netzbetreiber ist es, eine zuverlässige Versorgung für alle jederzeit zu gewährleisten. Früher hat er seine Kraftwerke so geregelt, dass Angebot und Nachfrage zusammenpassen und alle Parameter des Stromsystems – Wirkleistung, Blindleistung, Verunreinigung usw. – stimmen. Hubert Fechner, Obmann der Technologieplattform Photovoltaik Austria (TPPV), der sich seit vielen Jahren auch mit diesen Themen befasst: „Mittlerweile hat er das nicht mehr in der Hand, weil er auch die Stromversorgung nicht mehr in der Hand hat. Denn es gibt viele kleine Erzeuger – bei privaten PV-Anlagen werden es bald 500.000 sein, die bis jetzt keine Verantwortung übernehmen, was in Zukunft aber doch tun müssen.“
Das digitale Stromnetz
Windkraft- und Solaranlagen speisen ihre Energie direkt in das Verteilnetz, von wo diese ohne gesammelt und sortiert zu werden direkt zu Endverbrauchern in der Nähe fließt. Damit sie jedoch zu jeder Tages- und Nachtzeit genau da ankommt, wo sie benötigt wird, muss sie intelligent gesteuert werden. Das ist die Aufgabe moderner Verteilnetze. Engpässe und Überkapazitäten müssen durch eine intelligente Steuerung des Netzes ausgeglichen werden.
Mit einem digitalen Verteilnetz erhält der Netzbetreiber einen Überblick in Echtzeit, wie viel Strom die unzähligen kleinen Stromerzeuger gerade produzieren, wie viel Strom die Verbraucher gerade benötigen und wie viel Energie, etwa in Pumpkraftwerken oder anderen großen und kleinen Batterien gespeichert werden muss. Hier braucht es smarte Lösungen, denn der Ausgleich zwischen Einspeisung und Verbrauch muss schnell und flexibel stattfinden – idealerweise direkt vor Ort. Diese komplexen Aufgaben können nur intelligente und reaktionsfähige Verteilnetze erledigen. Hier sind die Netzbetreiber ziemlich gefordert.
Studie für wirtschaftlichen Netzausbau
Aufgrund der ambitionierten Ziele der österreichischen „mission2030“, in der die elektrische Energieversorgung bis 2030 vollständig auf erneuerbare Erzeugung umgestellt sein und der Anteil elektrisch betriebener Pkw bis zu 30 Prozent erreichen soll, hat Österreichs Energie, die Interessenvertretung der österreichischen E-Wirtschaft mit rund 140 Mitgliedern, eine Studie organisiert.
Betrachtet wurden dabei ausschließlich mögliche Effekte von Elektromobilität und Photovoltaik, bei denen in den kommenden Jahren die größte Wirkung auf die Verteilernetze erwartet wird. Die Studienautoren haben drei Szenarien berechnet, wie sich Netzausbaubedarf und damit verbundene Kosten entwickeln dürften. Im Szenario 1 nimmt man an, dass die E-Mobilität bis 2030 einen Anteil von 10 Prozent erreicht hat, im Szenario 2 erreicht sie einen Anteil von 30 Prozent und Szenario 3 rechnet mit einem acht Mal so großen Bestand an PV-Anlagen.
Klar ist: In allen Szenarien müssen Mittel- und Niederspannungsabschnitte verstärkt werden, auch thermische Grenzwerte bei MS/NS-Transformatoren werden überschritten. Speziell in Hinblick auf die PV-Anlagen gibt es verstärkten Handlungsbedarf, nicht nur im Nieder-, auch im Mittelspannungsbereich. Vermehrt müssen MS/NS-Trafos aufgrund von Überlastung ausgetauscht werden.
Da es durch PV-Anlagen zu vermehrten Rückspeisungen von der Niederspannungs- in die Mittelspannungseben kommt, entsteht auch in den Mittelspannungsnetzen der Bedarf an zusätzlichen Netzmaßnahmen. Das kann bis zur Errichtung neuer Umspannwerke, zum Neubau sowie Erweiterung bestehender MS-Schaltanlagen in Umspannwerken sowie zu erforderlichen Aufteilungen bestehender MS-Abzweige im Normalschalt- und im Ersatzversorgungszustand inklusive notwendiger Erdschlusslöschspulen führen. Aber auch das Hochspannungsnetz erfordert Investitionen. Ach ja: Dass ein Netzausbau viel länger als bis 2030 dauern wird geht vielerorts leider eher unter.
So kann volkswirtschaftlich optimiert werden
Die Umsetzung aller Maßnahmen in den österreichischen Stromnetzen würde rund 50 Prozent zusätzliche Kosten verursachen, jedoch haben Experten vier überdurchschnittlich wirksame Optimierungsmöglichkeiten gefunden.
- Einführung einer spürbaren Leistungspreiskomponente in den Netztarifen – ein Anreiz für die maßvolle Nutzung der wertvollen Netzreserven.
- Rechtskonforme Nutzung der Daten aus intelligenten Messgeräten (Smart Meter). Hier sollte die Rechtsgrundlage aufgrund der aktuellen E-Mobilität angepasst werden, was auch starke Dämpfungseffekte hätte.
- Begrenzung der Einspeisung von PV-Anlagen auf 70 Prozent ihrer Kilowattpeakleistung (ähnlich wie in Deutschland). Bis zu einer mittleren Größe von z. B. 30 KWpeak sind kurzzeitige Spitzenwerte des Rückflusses ins Netz zu begrenzen, um die wertvollen Netzreserven für andere Anlagen (ganzjährig wirksam, aber nur kurz auftretend) nicht zu blockieren.
- Die Netzbetreiber benötigen für die Steuerung eines wirtschaftlichen Netzbetriebs rechtliche Möglichkeiten, um eine Leistungsbeeinflussung der Energieflüsse in den Netzen zu lenken. Zusätzliche Leistungsspitzen müssen immer durch kostenintensiven Netzausbau beherrscht werden. Je gleichmäßiger die Energieflüsse gehalten werden können, desto länger reicht das Bestandsnetz auch für die zukünftigen Aufgaben.
Zusatzaufgaben sind für die Netzbetreiber neben der Mobilität auch die Raumwärme, die in Form von Wärmepumpen auch von den fossilen Energieträgern zum Strom kommen.
Dynamische Entwicklung bei PV verschärft Situation
Am Beispiel aus dem Burgenland kann man die durchaus schwierige Situation der Netzanbieter nachvollziehen. Gegenüber 2019 haben sich 2022 die Anträge verzehnfacht. Die 1.679 MVA installierte Einspeiseleistung teilen sich derzeit in Wind 1.441 MVA, PV 187 MVA (davon 50 MVA 2022) sowie sonstige 51 MVA (etwa Biomasse oder Kleinwasserkraftanlagen) auf. Dieser steht gerade einmal eine Spitze von 350 MW als Verbrauch im Burgenland gegenüber. Dieser große Überschuss muss dann natürlich übers überregionale Netz weitergeleitet werden – dorthin, wo man es verbraucht oder speichern kann. Dass hier auch Trafostationen und Umspannwerke um- bzw. neu gebaut werden müssen ist nicht von der Hand zu weisen.
An einem Beispiel aus Oberösterreich zeigte Hubert Fechner außerdem Schwierigkeiten auf, die vor allem Unternehmen betreffen, die beispielsweise bei einer 2.500 kW PV-Anlage nur 500 kW ins Netz einspeisen dürfen. Unter der Woche wirkt zwar der Eigenbedarf dämpfend, aber am Wochenende, wenn die Produktion stillsteht, darf ebenfalls nicht mehr Strom ins Netz gehen.
Vor kurzem war im ORF eine Reportage über ein Unternehmen aus Linz zu sehen, dass nach langem Kampf nur deshalb einspeisen konnte, weil es sich an den Leitungserrichtungskosten vom Trafo zum Unternehmensstandort beteiligt hat. Fechner kann die Sorgen der Netzbetreiber dabei aber auch durchaus verstehen: „Das ist aus gutem Grund eine sehr konservative Branche. Sie hat jederzeit eine sichere Stromversorgung zu gewährleisten und mit einer wichtigen Infrastruktur spielt man nicht.“
Allerdings hat sich auch die Einstellung zu den Erneuerbaren Energien gewandelt. Was vor 20 Jahren als nicht vorstellbar angesehen wurde, ist heute in vielen Fällen schon Realität geworden – etwa in Niederösterreich, wo man mittlerweile auch 100 Prozent Windstrom managen kann. Da wurde geforscht, Kraftwerke werden anders betrieben, es gibt Prognoseprogramme – und schon funktioniert die Integration.
Von kleinen und großen Netzbetreibern
Dass so eine Integration von Erneuerbaren Energien für die großen zehn Netzanbieter weniger Probleme bereitet als den vielen kleinen, zeigt sich schon heute in der Praxis. Fechner:
Wenn da jemand eine 20kW-PV-Anlage errichten will, könne der Netzbetreiber weder eine Netzberechnung machen, noch hat er ein digitalisiertes Netz. Das ist übrigens mit ein Grund, warum es gerade bei kleinen Netzanbietern bei Einspeiseanträgen vermehrt Absagen hagelt. Vermutlich werden hier die großen, erfahrenen Netzanbieter Hilfe leisten müssen. Abhilfe könnten hier freilich auch Energiegemeinschaften leisten, sofern eine gute und vorausschauende Planung passiert.
Prinzipiell ist auch die Politik bei all diesen Themen gefragt. TPPV-Chef Fechner gibt zu bedenken: „Bei uns ist noch sehr vieles mit Unsicherheiten behaftet. Wir wissen nicht, welche Energiestruktur wir zukünftig brauchen, und wir wissen auch noch nicht, wie stark die Rolle der Speicher in Zukunft sein wird.“ Als gutes Vorbild nennt Fechner hier die Schweizer „Energiezukunft 2050“, wo nationale Stakeholder das Bild einer energieneutralen Schweiz – natürlich auch mit Unsicherheiten – skizziert haben. Auch die Franzosen hätten vier Szenarien.
Um hier alsbald Lösungen anbieten zu können hat sich die TPPV bereits mit wissenschaftlichen Institutionen in ganz Österreich vernetzt, um vielleicht schon bald neutral und unabhängig skizzieren zu können, wie der Weg in unsere Stromzukunft aussehen könnte.
Dipl. Ing. Hubert Fechner, MSc., MAS ist Obmann des 2008 gegründeten Vereins Technologieplattform Photovoltaik Austria (TPPV).