Dann braucht man eben einen Routerzwang. Nach wie vor können österreichische Kunden nicht selbst entscheiden, welches Endgerät sie an ihrem Internetanschluss nutzen möchten. Der vorliegende Begutachtungsentwurf des neuen TKG 2021 scheint zwar Bewegung in die Sache zu bringen, ob’s damit aber besser wird, ist nach wir vor offen.
Stellen Sie sich einmal vor, Sie würden einen Mobilfunkvertrag bei A1 unterzeichnen und Sie dürften ausschließlich ein iPhone X nutzen. Bei Drei funktioniert wiederum nur Samsung S20. Das gebe nicht nur einen gewaltigen Aufschrei, sondern ist praktisch unvorstellbar. Niemand käme auf die Idee, dass Mobilfunkanbieter ihren Kunden vorschreiben, welches Smartphone sie im jeweiligen Netz zu benutzen haben. Nicht so leider, wenn’s um kabelgebundene Breitbandverträge geht – dort sind Hardware-Einschränkungen Standard. Kunden können sich hier im Regelfall nicht aussuchen, ob sie nicht vielleicht doch lieber ein Endgerät von Asus, AVM, Netgear, usw. nutzen möchten, sondern müssen mit jenem Gerät vorliebnehmen, das ihnen der Netzbetreiber zur Verfügung stellt.
Die rechtliche Situation
Ein wesentlicher Knackpunkt in dieser Diskussion ist die Definition des Netzabschlusspunktes (NAP), also jener Punkt, an dem das öffentliche Netz endet und das private Netzwerk beginnt. Aktuell legen einige Internet-Provider den NAP so fest, dass dieser HINTER dem vom Netzbetreiber zur Verfügung gestellten Modem (das zumeist Teil eines Routers ist) und nicht etwa an der passiven Anschlussdose in der Hausmauer liegt. Die Einbindung des Betreiber-Routers ins heimische Netzwerk bringt allerdings erhebliche Sicherheitsbedenken mit sich: Ist das Endgerät mitsamt seiner lokalen Vermittlungsfunktion Bestandteil des öffentlichen Telekommunikationsnetzes, wird die über private Netzwerke (WLAN, DECT, TK-Anlage etc.) geführte Kommunikation innerhalb des privaten Heimnetzwerks zu einer öffentlichen Kommunikation, kontrolliert durch die Netzbetreiber (in dessen Hoheit und Einflussbereich sich das Endgerät ja befindet). Ein plakatives Beispiel: Das Versenden von Texten oder Fotos über das WLAN an einen kabellosen Drucker würde damit zu einer öffentlichen Kommunikation, auf die der Netzbetreiber potenziell Zugriff hat. Darüber hinaus „kennt“ das Endgerät weitere vertrauliche technische Daten, wie eine Liste aller im privaten Netzwerk vorhandenen Geräte (z. B. Notebooks, Tablets, Smartphones, Drucker), deren Ein- und Ausschaltzeitpunkt, die Zuordnung des Internetverkehrs zu einem bestimmten Gerät, Telefonbücher, Anruflisten, Rufumleitungen, Zugangsdaten zu anderen Diensten, angeschlossene USB-Geräte und deren Inhalte. All diese Daten stehen dem Netzbetreiber quasi offen.
„Verbraucher*innen müssen in der Lage sein, ein Gerät zu wählen, das ihnen die Nutzung von Sicherheits- und Datenschutzeinstellungen ermöglicht, die ihren Anforderungen entsprechen“, betont der Verein Epicenter.works, der sich für die Rechte von Verbrauchern einsetzt. Die meisten Internet-Provider würden nur einige wenige Router-Modelle anbieten. „Dies birgt Risiken für die Freiheit und Sicherheit ihrer Verbraucher. Wenn beispielsweise größere Probleme oder Sicherheitslücken auftreten, wäre eine enorme Anzahl von Nutzer*innen auf einmal betroffen. Eine fehlende Routerfreiheit gefährdet damit die Privatsphäre und Sicherheit der Verbraucher*innen und ihrer persönlichen Daten“, so Epicenter.works.
Das Problem des Routerzwangs lässt sich zwar durch eine Kaskadierung, also das Hintereinanderschalten von „Zwangs“-Endgerät und frei gewähltem Gerät, umgehen, allerdings ist das wenig nachhaltig. Man hat dann zwei Geräte am Stromnetz hängen und auch die (Anschaffungs-)Kosten tragen. Zudem können bestimmte Funktionen des Wahlrouters so oftmals nicht genutzt werden. Die Betreiber argumentieren hier damit, dass man nur mit den „vorgeschriebenen“ Endgeräten eine hohe Dienste-Qualität garantieren kann. Außerdem sei es aus Sicherheitsgründen undenkbar, ein Fremdgerät im eigenen Netzwerk zu registrieren und verweigern daher auch die Herausgabe der Zugangsdaten zur Anmeldung des Endgeräts am Netz bzw. der Spezifikationen ihrer Netzzugangsschnittstellen. In Deutschland und Italien scheinen die Netzbetreiber diese Angst übrigens nicht zu haben – dort können Nutzer ihre Endgeräte seit Jahren frei wählen. Diese Länder haben damit auch die EU-Netzneutralitätsverordnung (EU 2015/2120) umgesetzt, wo festgelegt ist, dass Endnutzer das Recht haben „Endgeräte ihrer Wahl zu nutzen“ (Art. 3 Abs. 1). Dieses Recht, das unmittelbar in den Mitgliedsstaaten der EU gilt, ist in Österreich jedoch bislang totes Recht, eben weil der Netzabschlusspunkt nicht verbindlich festgelegt ist.
Bringt das TKG Bewegung rein?
Im Dezember 2020 legte das Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus (BMLRT) den Entwurf für das TKG 2020/2021 vor. Mit diesem soll der nationalen Regulierungsbehörde RTR explizit die Kompetenz übertragen werden, den Netzabschlusspunkt per Verordnung festzulegen (§ 49 TKG-Entwurf). Dort will man sich auf Anfrage von ELEKTRO|branche.at aktuell noch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.
„Beim Themenbereich Routerfreiheit unter dem Blickwinkel der Netzneutralität und der Diskussion zur Festlegung des Netzabschlusspunktes gibt es einerseits die rechtliche und andererseits die politische Dimension. Dies gilt es bei der Beurteilung, ob die Netzneutralitätsverordnung in Österreich eingehalten wird, stets zu berücksichtigen. Nach der Netzneutralitätsverordnung haben Endnutzer das Recht, Endgeräte ihrer Wahl zu nutzen. Als zuständige Regulierungsbehörde stellen wir seit nunmehr fünf Jahren sicher, dass alle europäischen Vorgaben befolgt werden. Tatsächlich finden sich in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der meisten österreichischen Betreiber in der Regel keine expliziten Bestimmungen, die eine Verwendung genau jener Geräte vorschreiben, die der Betreiber seinem Kunden für den Betrieb des Dienstes bereitstellt bzw. eine Verwendung anderer Endgeräte ausdrücklich verbieten. Es ist jedoch zulässig, wenn der Betreiber eine Einhaltung der von ihm bekanntzugebenden Qualitätsparameter seines Dienstes nur bei Verwendung des von ihm bereitgestellten Modems bzw. Routers garantiert“, schreibt die RTR.
Es stimmt zwar, dass in den AGBs Fremdgeräte nicht verboten werden, das hilft einem Kunden aber nichts, wenn er keinen Zugang bekommt.
Oder bleibt alles beim Alten?
Es könnte sein. Die RTR dazu: „Nach dem vorliegenden Begutachtungsentwurf eines neuen TKG 2021 ist angedacht, dem Fachbereich Telekommunikation und Post der Rundfunk- und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR) die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zur Festlegung des Netzabschlusspunktes zu übertragen. Die genauen Details sind dazu aber noch offen. Bisher hat es in Österreich keine nennenswerten Probleme gegeben. Streitfälle nach Beschwerden von Kunden konnten stets bereinigt werden. Einer Regelung des Netzabschlusspunktes stehen wir neutral gegenüber. Jede Medaille hat zwei Seiten: Die Routerfreiheit ist gut für den Wettbewerb. Andererseits ist es kein Nachteil für Kunden, wenn der Netzabschlusspunkt nach dem Router liegt. Damit ist der Betreiber dafür verantwortlich, dass das Internet bei der Kundschaft ankommt.“
Wieso die RTR von zwei Seiten einer Medaille spricht, wirft Fragen auf. Denn es ist keinesfalls so, dass durch eine Routerfreiheit lediglich der Wettbewerb angekurbelt würde. Vielmehr würden all jene Endkunden davon profitieren, die selbst entscheiden wollen, welches Gerät sie an ihrem Internetanschluss nutzen. Zudem entstünde für Endkunden, die weiterhin die Geräte der Provider nutzen wollen, keinerlei Nachteil. Schließlich könnten sie auch bei einer Routerfreiheit weiterhin das Providergerät nutzen – sie wären lediglich nicht länger dazu gezwungen. „Österreich hat mit dieser Reform die einmalige Chance, die Rechte der Verbraucher*innen zu stärken, indem es die Routerfreiheit auf gesetzlicher Ebene garantiert und so einen offenen Markt fördert“, bringt man es bei Epicenter.works auf den Punkt. Eine Fortsetzung des derzeitigen Status Quo würde bedeuten, dass die Endnutzer in ihrer Wahlfreiheit weiterhin eingeschränkt wären und viel Potenzial der modernen Breitband-Infrastruktur ungenutzt liegen bleiben würde
Ein sehr guter Artikel, der die ärgerliche Situation gut zusammenfasst.
Die Diskussion erinnert mich stark an die 80er Jahre. Damals hatte die Post sich jahrelang dagegen gewehrt, dass man an die Analog- und ISDN-Leitungen eigene Modems anschalten darf. Lustig, dass sich in 40 Jahren die Argumente nicht geändert haben: „Die Betreiber argumentieren hier damit, dass man nur mit den „vorgeschriebenen“ Endgeräten eine hohe Dienste-Qualität garantieren kann.“
Fakt ist, dass das damalige Verhalten der Post (als einziger Provider) lange Jahre in Österreich Fortschritt und Innovationen verhindert hat. Erst nach Freigabe konnten sich Mailboxen, Datenbanken und erste vorsichtige Internetaktivitäten entwickeln. Jetzt sehe ich das nicht anders.
Warum man aber das Gefühl bekommt, dass sich die RTR auf die Seite der Provider schlägt, ist nicht nachvollziehbar. Ob das mit intensivem Lobbying der Provider zusammenhängt? Ein Schelm, der Böses denkt.