Spätestens seit Ausbruch der Corona-Pandemie ist das Thema E-Commerce so präsent wie nie zuvor – und es wird auch nicht mehr verschwinden. Doch worauf kommt’s im digitalen Business heute wirklich an? ELEKTRO|branche.at hat sich darüber mit zwei Profis von der Digital-Commerce-Agentur Overdose unterhalten.
Overdose ist eine globale Digital-Commerce-Agentur die zwischenzeitlich mehr als 350 E-Commerce Experten – mit jeweils branchenspezifischen Fähigkeiten in den Bereichen Strategie, Design, Technologie, Marketing, Search und Analytics – beschäftigt. Man hat Büros und Kunden in Auckland, Melbourne, Sydney, Brisbane, London, New York, Los Angeles, Wien, Berlin, Singapur und der Ukraine. Die österreichische Niederlassung in Wien ist übrigens aus der Agentur A-Commerce hervorgegangen, nachdem diese sich im Frühjahr an das Overdose-Netzwerk angeschlossen hat. Seitdem werden von Wien aus, die Geschicke der DACH-Region geleitet – konkret von Daniel Höhnke als Managing und Stephan Grad als Strategic Director.
Wie beurteilt ihr die aktuelle E-Commerce-Situation im öst. Handel?
Daniel Höhnke: Viele Unternehmen aus dem stationären Handel befinden sich bereits in einer digitalen Transformation bzw. sehen, dass es hier dringend etwas zu tun gibt. Aber man darf jetzt nicht glauben, dass die Lehren aus zwei Jahren Corona sofort bei allen durchgeschlagen haben. Nach wie vor gibt’s einige, die erst jetzt langsam damit anfangen.
Was sind eigentlich die Grundvoraussetzungen für einen erfolgreichen E-Commerce-Auftritt?
Höhnke: Die Unternehmen müssen den Bedarf wirklich erkennen und dürfen E-Commerce nicht einfach nur als Zusatz nach dem Motto „Ja, da müssen wir halt auch was machen“ sehen. Das wäre falsch. Das Thema muss ganzheitlich angegangen werden und man muss es wirklich wollen. Für uns ist es immer sehr schwierig, wenn wir bei Unternehmen auf alteingesessene Meinungen treffen. Mit „das haben wir schon immer so gemacht und das funktioniert sicher auch heute“ kommt man nicht mehr weit. Wir brauchen ein offenes Miteinander, damit wir gemeinsam mit den Händlern einen neuen Weg erfolgreich gehen können. Wenn man das nicht ernsthaft will, dann wird daraus auch nichts.
E-Commerce: Corona als Brandbeschleuniger
Wenn man wirklich will, dann klappt’s auch mit dem Online-Shop?
Höhnke: Naja, einfach nur ein neues Shopsystem hinzustellen bringt erstmal gar nichts. Der Shop ist immer nur ein Mittel zum Zweck. Der elementarste Teil ist die Arbeit danach und rundherum. Es ist ja nicht so, dass alle Kunden plötzlich auf meinen Shop zugreifen, nur weil er jetzt übers Internet zu erreichen ist. Man muss ihn schon auch bekannt machen, muss die Kunden reinholen. Das heißt, ich muss auch alle neuen Werbearten einbeziehen. Ich muss dort sein, wo auch meine Kunden sind. Die Konsumenten von heute sind anderswo anzutreffen, als die Kunden von gestern. Sobald man sich ernsthaft damit beschäftigt, werden schnell viele Fragen aufgeworfen, die es dann zu lösen gilt. Für viele Händler sind das oft vollkommen neue Learnings, denen man offen gegenüberstehen sollte. Die Welt hat sich in den letzten Jahren nämlich sehr rasch verändert.
Es braucht Zeit, um eine vernünftige Strategie bzw. ein vernünftiges System aufzubauen. Das geht nicht von heute auf morgen.
Stephan Grad
Apropos Veränderungen. Die Corona-Pandemie sollte hier ja wie ein Brandbeschleuniger gewirkt haben…
Stephan Grad: Ein ganz klares „jein“. Natürlich hat das Thema E-Commerce sehr viel Aufmerksamkeit bekommen und ist in das Bewusstsein des Handels eingedrungen. Um aber eine vernünftige Strategie bzw. ein vernünftiges System aufzubauen, dazu braucht es Zeit. Am Anfang der Pandemie hatten wir zahlreiche Anfragen, ob wir nicht binnen drei/vier Wochen einen fertigen Onlineshop liefern können. Technisch absolut kein Problem. Aber wie schaut’s im Hintergrund aus? Sind die Produktdaten vollständig vorhanden und auch gepflegt? Jedes Unternehmen wird sagen, dass alle Daten perfekt sind. Schaut man dann aber genauer hin, sieht man schnell, dass dem nicht so ist. Da fehlen dann plötzlich wichtige Produkteigenschaften oder Langbeschreibungen. Diese Daten müssen aber allesamt digital vorhanden sein. Hier steckt die wirkliche Arbeit drinnen, und die schafft man nun mal nicht von heute auf morgen.
Die aktuellen E-Comemrce-Trends
Wo sehr ihr die aktuellen Trends im E-Commerce?
Höhnke: Für mich gibt es zwei Trends – wobei das eigentlich keine Trends mehr sind, sondern Notwendigkeiten. Trend Nummer eins ist der Omnichannel-Handel. Dem Onlinehandel wird ja immer nachgesagt, dass er die Innenstädte kaputt macht. Das ist ein totaler Quatsch. Unser Verständnis ist dahingehend, dass die Prozesse sehr wohl digital sein, sie aber auf mehreren Ebenen funktionieren müssen. Ein einfaches Beispiel: wenn ich einen Gutschein von einem Laden habe, dann will ich den sowohl on- als auch offline einlösen können. Das klingt auf den ersten Blick einfach, davon sind wir in der Praxis aber noch meilenweit entfernt. Ich muss die Kanäle digital miteinander verbinden, das ist dann Kundenbindung und Kundenservice. Und das können die kleinen Händler übrigens sogar viel besser umsetzen als die großen Player. Was bei den Kleinen aber leider nach wie vor fehlt, ist das Mindset.
Für den heimischen Handel wird künftig nicht mehr Amazon der Grund allen Übels sein, sondern der mittelständische Händler aus dem Nachbarland.
Daniel Höhnke
Trend Nummer zwei ist die Internationalisierung. Für die heimischen Händler werden zukünftig nicht Amazon oder Zalando der Grund allen Übels sein, sondern die mittelständischen Händler aus dem Nachbarland. Das sehen wir aktuell bereits am nichtdeutschsprachigen Markt. Holländische Händler gehen immer stärker nach Deutschland rein, um eben ihren Markt zu vergrößern. Das gleiche passiert aus Dänemark und Polen. Diese Länder haben keine Retail-Tradition, so wie wir. Daher müssen sie auch nicht umlernen, sondern können direkt von der grünen Wiese starten. International heißt für mich übrigens nicht, dass ich als österreichischer Händler nach Deutschland gehe. Das ist einfach. Es geht darum, dass ich nach Italien, Frankreich oder nach Osteuropa verkaufe, wo der Konkurrenzdruck vielleicht noch nicht so stark ist. Da steckt dann allerdings auch ein Rattenschwanz an Arbeit dahinter, weil es nicht reicht, den Onlineshop einfach nur auf Ungarisch zu übersetzen.