Nicht etwa die gesetzliche Interessensvertretung, sondern der überparteiliche Handelsverband hat sich während der Corona-Pandemie zum wichtigsten Partner und Sprecher des heimischen Handels entwickelt. ELEKTRO|branche.at sprach mit Geschäftsführer Rainer Will über ein Jahr Corona, dadurch fast vergessene Problemfelder und die nahen Zukunftsaussichten für Österreichs Handel.
Es dürfte kein Zufall sein, dass Rainer Will bei seinen – recht zahlreichen – öffentlichen Auftritten im ORF und anderen Medien schon lange nicht mehr als Geschäftsführer des Handelsverband vorgestellt wird – im Regelfall steht dort nämlich „Handelssprecher“ oder „Sprecher des österreichischen Handels“ unter seinem Namen. In den Augen der gesetzlichen Interessensvertretung mag das einer Majestätsbeleidigung gleichkommen, lässt man die vergangenen Monate allerdings Revue passieren, dann dürfte Will sich diesen Titel hart verdient haben. Denn völlig egal, ob es nun um geplante Lockdowns, ausbleibende Corona-Hilfen oder unsinnige Verordnungen ging – während aus dem WKO-Headquarter in der Wiedner Hauptstraße im Regelfall nur betretenes Schweigen zu hören war, verbiss sich das kleine Team des Handelsverbands in jedes handelsspezifische Thema und lieferte dabei meist auch gleich passende Lösungsvorschläge mit. Zwar nicht immer mit Erfolg, aber dafür umso nachdrücklicher.
Satter Mitgliederzuwachs
Dieser Einsatz dürfte auch den österreichischen Händlern aufgefallen sein, immerhin hat sich die Mitgliederanzahl inzwischen verzehnfacht. „Bei uns hat sich seit Corona alles verändert, wobei es natürlich auch sehr positive Effekte gab. So konnten wir unsere Mitgliederanzahl binnen eines Jahres von 390 auf über 4.000 steigern. Das ist für uns auch ein klarer Beweis dafür, dass es einen Handelsverband braucht, der Klartext spricht und als Partner und Sprecher des Handels auftritt. Noch nie war der Bedarf nach einer unabhängigen und überparteilichen Interessensvertretung größer als heute. Damit vertreten wir inzwischen über 90 Prozent aller Einzelhandelsumsätze in Österreich“, freut sich Will.
„Außerdem ist es ein sehr deutliches Signal, wenn sich angeschlagene Unternehmen in der Krise an uns wenden.“ Für die Mitglieder hat man damit auch die Rolle als Informations-Plattform übernommen. „Seit einem Jahr arbeiten wir akribisch jede Verordnung auf, interpretieren sie und kommunizieren sie dann einfach verständlich. Inzwischen gilt fast jede Woche etwas Neues. Wir sind damit quasi zum Dreh und Angelpunkt zwischen Handel und Politik geworden. Wir waren auch die, die am lautesten gerufen haben, wenn bei den Wirtschaftshilfen etwas nicht passt.“
Von Lockdown zu Lockdown
Aber nicht nur die Unternehmen, auch die Politik nutzt den Handelsverband inzwischen als Krisen-One-Stop-Shop – und das von Anfang an. „Vor dem ersten Lockdown hatten wir drei Tage Zeit den Lebensmittelhandel so zu koordinieren, dass die Bevölkerung mit Masken ausgestattet werden. Auch den Soldateneinsatz haben wir maßgeblich koordiniert und bis zum heutigen Tag laufen die Meldungen über potenzielle Engpässe bei uns zusammen und wir leiten diese dann kumuliert ans Ministerium weiter. Da wir von niemanden abhängig sind, können wir auch klar formulieren wie es aussieht und natürlich mit allen Parteien, auch denen der Opposition, reden“, erklärt Will.
Die Lockdowns selbst seien laut dem Handelsverband-Chef allesamt zur Unzeit gekommen. „Den Handel hätte es vom Timing her gar nicht schlechter treffen können. Der erste Lockdown war vor Ostern, der zweite zu den Sondereinkaufstagen im Herbst, der dritte hat das Weihnachtsgeschäft beschnitten und der vierte war jetzt wieder zu Ostern. Da wundert es einem nicht, dass 85 Prozent der Händler angeben, dass sie im Schnitt ein Drittel aller Umsätze verlieren werden. Das ist die Zahl, die die Branche am besten widerspiegelt. Das geringe Minus in der Gesamtbetrachtung täuscht da ein bisschen, weil der Lebensmittelhandel schon im Plus ist. Fairerweise muss man hier aber auch sagen, dass er enorme Krisenkosten hatte – etwa durch die kostenlosen MNS-Masken oder später die FFP2-Masken. Generell gilt: Je kleiner und weniger digital ein Händler ist, desto härter hat es ihn getroffen. „Und auch aktuell gehen drei Viertel der Händler davon aus, dass sie auch heuer einen Verlust machen werden – und das sogar gegenüber dem katastrophalen Corona-Jahr.“
Eintrittstests & fehlende Hilfen
„Die Eintrittstests, für die sich Wirtschaftskammer und Politik stark gemacht haben, wären einem Todesurteil für den Handel gleichgekommen – und das ohne wissenschaftliche Basis. Im Handel gibt’s nur einen losen Kundenkontakt mit kurzer Aufenthaltsdauer – und die liegt unter der Grenze für eine K1-Person. Der Handel hat auch immer die Gesundheit seiner Kunden an die erste Stelle gestellt. Er hat aufwändige Sicherheits- und Hygienekonzepte ausgearbeitet und umgesetzt. Wir haben im November sogar gemeinsame Sache mit Shoppingcenter-Betreiber gemacht und die sind – in Anbetracht der aktuellen Mieten – bei Gott nicht unsere besten Freunde. Wir haben einen Brief an Gesundheitsminister Anschober geschickt und angeboten, dass wir in den Centern kostenlose Teststraßen aufbauen würden – gemeinsam mit den ansässigen Händlern und Apotheken. Wir haben nicht einmal eine Antwort bekommen“, ärgert sich Will.
„Noch nichts bekommen“ heißt es auch immer wieder in vielen heimischen Unternehmen. Die Corona-Hilfen fließen nämlich oft nur sehr langsam und unkoordiniert. „Ich wurde kürzlich von einem Politiker gefragt, warum wir uns so aufregen würden, obwohl wir im Gegensatz zu anderen Ländern eh so tolle Corona-Hilfen hätten. Ja, schon, aber das bringt nur nix, wenn sie nicht in den Unternehmen ankommen. Noch immer beklagen sich viele Unternehmen, dass die November-Kurzarbeit noch nicht da ist. Das AMS schreibt dann, dass die Unterlagen passen und in Ordnung sind, nur wann ich das Geld bekomme, können sie mir nicht sagen, weil dafür ein anderer zuständig ist. Fast alle haben inzwischen einen Schuldenrucksack aufgebaut. Oft bei den drei berühmten F – family, friends, fools. Wenn die Bank nicht mehr finanziert, muss ich eben zur Familie, zu Freunden oder zu Wahnsinnigen, die in mich investieren.“
Hinzu komme nun, dass nun die Stundungen langsam auslaufen – was zu weiteren Problemen führen kann. „Was viele nämlich nicht wissen, ist, dass wenn ich lohnbezogenen Abgaben (Krankenkasse usw.) nicht zahle, dann komme ich als Person in die Haftung. Wenn ich der angestellte, operative Geschäftsführer der Elektro Maier GmbH bin, dann komme ich in eine persönliche Haftung, wenn ich diese Abgaben nicht bediene. Darum haben wir allen unseren Mitgliedsbetrieben geraten, bitte zahlts wenigstens die lohnbezogenen Abgaben. Der Staat hat sich hier – schon vor Corona – eine Vorrangigkeit eingeräumt. Geht die Firma in Konkurs und die Abgaben können nicht mehr bedient werden, steht der Geschäftsführer irgendwann mit seinem privaten Vermögen gerade.“
Abseits von Corona
Solcherlei Abgabenprobleme kennen die internationalen Online-Multis freilich nicht. Weswegen es für Will wesentlich ist, auch diese Themen nicht aus den Augen zu verlieren.
Zumindest in Sachen Plattformhaftung konnte man bereits einen ersten Teilerfolg verbuchen. Sowohl für die korrekte Abfuhr der Mehrwertsteuer wie auch für die Dokumentation der Steuern wird diese bereits umgesetzt. „Füllt eine China-Händler das nicht aus, muss der jeweilige Marktplatz (etwa Amazon) die Differenz begleichen. Wir würden uns allerdings wünschen, wenn diese Haftung auch für die Abfall-Entpflichtung kommen würde. Derzeit zahlen die heimischen Händler für den minderwertigen e-Commerce-Müll aus China mit. Ebenso sollte es eine Plattformhaftung für Fake-Produkte geben – ganz wichtig wäre das für den Elektronikbereich“, fordert Will.
Ebenfalls auf seiner Agenda steht mehr Steuer-Fairness in der Digitalwirtschaft. „Wir sind der Meinung, dass die steuern dort zu zahlen sind, wo auch die Kunden bedient werden.“ Einen ersten Schritt hat die EU hier bereits mit ihrem Transparenzpaket (Public Country to Country-Reporting) gemacht. Dank diesem soll man zukünftig sehen, welches multinationale Unternehmen wo, wieviel Steuern bezahlt bzw. sich Steuern erspart. Einen Haken gibt’s hier allerdings. „Im Nachhinein haben wir nämlich erfahren, dass es eine Übergangsfrist von sechs Jahren gibt. Da verliert man dann ein bisserl den Glauben in die Politik“, so Will ernüchtert. Schon nicht mehr geglaubt hat Will auch daran, dass die berühmte 22 Euro-Grenze für Pakete (hauptsächlich aus Asien) wirklich fällt. Ab 1. Juli ist es allerdings so weit, wenngleich sich Deutschland und Frankreich nochmals bemüht haben, den Zeitraum weiter nach hinten zu verschieben. „Dort stehen nämlich die großen Verteilzentren und die profitieren von diesen Sendungen. Offiziell musste freilich Corona als universelle Rechtfertigung herhalten“, erklärt Will.