Der Handel ist in Österreich einer der größten Wirtschaftssektoren und mit rund 600.000 Beschäftigten zweitgrößter Arbeitgeber. Der private Konsum liefert rund 50 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt. Welche Produktgruppen die Privatausgaben im stationären Einzelhandel sowie im Onlinehandel 2021 angetrieben haben und welche Auswirkungen die Teuerung sowie die Energiekrise auf das Konsumverhalten haben, untersucht die brandneue Studie „Österreichs Handel in Zahlen“ von Branchenradar.com Marktanalyse und Handelsverband. Darüber hinaus liefert der Report die erste Jahresprognose für das Gesamtjahr 2022.
Das Leben der österreichischen Haushalte wird im laufenden Jahr empfindlich teurer. Obgleich sich die Bevölkerung nicht mehr leistet als 2021, steigen die einzelhandelsrelevanten Haushaltsausgaben heuer gegenüber dem Vorjahr nominal um +5 % auf 73,5 Milliarden Euro (2021: 70 Mrd.). Real bzw. inflationsbereinigt bedeutet dies allerdings einen Rückgang von 0,3 %. Insbesondere bei Elektrogeräten (real -2,9 %), Einrichtungsgegenständen (-3,5 %) und selbst bei Lebensmitteln (-5,8 %) setzen die Haushalte den Sparstift an.
Modehandel nach Horrorjahr 2021 heuer mit +17%
Für die ungewöhnlich kräftige Kontraktion bei Lebensmittel sieht Studienautor Andreas Kreutzer von Kreutzer Fischer & Partner (KFP) im Wesentlichen zwei Gründe: „Erstens wurde die Gastronomie im heurigen Jahr – im Gegensatz zu 2021 – nicht mehr in einen Lockdown geschickt, sodass die Bevölkerung wieder mehr Außer-Haus konsumieren kann. Zweitens kaufen die Haushalte speziell beim täglichen Einkauf infolge der Teuerung verstärkt Handelsmarken in der Preiseinstiegslage.“
Eine signifikant wachsende Nachfrage erwartet Kreutzer lediglich bei Produkten für Health Care, Körperpflege und Kosmetik sowie bei Mode- und Sportartikeln – wobei diese in den Pandemiejahren 2020 und 2021 besonders stark von den 152 Lockdown-Tagen betroffen waren. Preisbereinigt erhöhen sich die Ausgaben für Mode um rund 17 %, für Sportartikel um 12 % und für Health Care, Körperpflege und Kosmetik um knapp 3 % gegenüber dem Vorjahr.
„Trotz einer Steigerung von 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr liegen die Umsätze im Modehandel 2022 noch weit unter dem Niveau von 2015. Zu berücksichtigen sind bei diesen Zahlen natürlich auch die Schließungszeiten von rund 11 Wochen im Jahr 2021. Keine andere Handelsbranche hat in den letzten acht Jahren eine ähnlich schwierige Entwicklung erlebt und kein anderer Sektor hat stärker unter den Pandemiejahren 2020 und 2021 gelitten“, sagt Norbert Scheele, Handelsverband-Vizepräsident und Head of Market AT / CH / CEE / EE von C&A.
eCommerce wächst nur mehr selektiv
Der Onlinehandel – Wachstumskaiser der letzten 15 Jahre – wächst im Jahr 2022 aus heutiger Sicht nur noch in wenigen Warengruppen. Alles in allem sinkt die Onlinequote erstmals seit mehr als einem Jahrzehnt im Bereich der einzelhandelsrelevanten Ausgaben von 11,9 % im Jahr 2021 auf 11,6 %. Substanzielle Anteilsgewinne gibt es hier lediglich im Bereich Health Care, Körperpflege und Kosmetik, ein moderates Plus bei Elektrogeräten & IT und Druckwerken.
Rückläufig entwickelt sich der eCommerce insbesondere bei Mode- und Sportartikel. So fällt beispielsweise die Onlinequote im Bekleidungsbereich von 30 % auf 25 % und bei Sportartikel von 18 % auf 16 %. Für Letzteres ist im Wesentlichen die enorm hohe Nachfrage nach E-Bikes verantwortlich, die aufgrund des hohen Beratungsbedarfs überdurchschnittlich oft im stationären Handel erworben werden.
Handel vor existenziellen Herausforderungen – Regierung kann gegensteuern!
Die neuesten Zahlen von KFP bestätigen die dramatische Lage, auf die der Handelsverband schon seit Monaten hinweist. „Jeder zweite Einzelhändler in Österreich sieht sich aufgrund der exorbitanten Energiepreise, der hohen Rohstoffkosten und des massiven Personalmangels in Existenzgefahr. Die Branche verzeichnet heuer bereits mehr Insolvenzen als in den Jahren 2020 und 2021 zusammen, die Schließungen nehmen ebenso breitflächig zu. 44 Prozent aller Betriebe leiden an Financial Long Covid“, schlägt Handelssprecher Rainer Will Alarm. „Die Regierung ist aufgefordert, die beihilferechtlichen Möglichkeiten der EU zu nutzen und den geplanten Energiekostenzuschuss derart anzupassen, dass auch Händler davon umfasst werden. Darüber hinaus braucht es mutige Strukturreformen, um die drohende Schließung von 6.000 Geschäften bis Jahresende zu verhindern.“
Die gute Nachricht: Es ist noch nicht zu spät, das Ruder herumzureißen. Die Regierung ist jetzt gefordert, einen wirtschaftlichen Flächenbrand zu verhindern. Der Handelsverband empfiehlt hierzu folgende 7 Maßnahmen:
- Energiekostenzuschuss für alle Handelsbetriebe, die mit einem starken Anstieg der Strom- und Gaspreise kämpfen!
- Neuer Preisfindungsmechanismus für den europäischen Energiemarkt (Weiterentwicklung des Merit Order Systems auf EU-Ebene)!
- Umfassende Arbeitsmarktreform, um dem Personalmangel entgegenzuwirken!
- Durchgängige Abgaben- und Gebührenreform (u.a. Abschaffung der Mietvertragsgebühr)!
- Weitere substanzielle Senkung der Lohnnebenkosten!
- Flächendeckender Ausbau der Kinderbetreuung in ganz Österreich!
- Zuverdienstgrenzen für Pensionist*innen am Arbeitsmarktes erweitern!